Von Gudrun Dometeit
Schon mal von einer neuen Zeiteinheit gehört? Hey, it’s Trump-time! Außenpolitische Ereignisse der nächsten Zeit wird man darin messen müssen. , Man erhält einen Auftrag, und am nächsten Tag wird man gefragt, ob der erfüllt ist“, so Keith Kellogg , der Ukraine-Beauftragte des neuen US-Präsidenten am vorigen Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Es sind gerade sieben Tage her, angefangen vom Telefonat Donald Trumps mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, über die scharfe Europa-Kritik von Vizepräsident J.D. Vance bis zu ersten russisch-amerikanischen Friedensgesprächen in der saudischen Hauptstadt Riadh. In dieser einen Woche kündigten die USA mal eben die bisherige transatlantische Partnerschaft auf und beendeten die seit Beginn des Ukrainekrieges währende dreijährige Isolierung Russlands - ohne Vorleistung. Am Verhandlungstisch waren Ukrainer und Europäer ausdrücklich nicht willkommen. „Sieben Tage, die Europa erschütterten“, kommt einem da in Anlehnung an ein berühmtes Buch über die russische Revolution 1917 in den Sinn. Gewissenheiten über Allianzen, Sicherheit, Diplomatie und Ordnung – alle perdue. Und neue nicht in Sicht. Schon wegen der Trump-time, die Europäische Union ist nicht die schnellste.
Donald Trump stellt diplomatische Verhandlungen gerade auf den Kopf, deren Details üblicherweise von Teams aller Seiten in langen Runden ausbaldowert werden und an deren Ende ein Gipfeltreffen mit der Unterzeichnung eines Abkommens steht. Trump will dagegen Putin möglichst bald begegnen, er legitimiert den Aggressor im Ukrainekonflikt vor dem Abschluss eines Vertrages. Schon nach seinem Telefonat vor einer Woche umschmeichelte der US-Präsident seinen russischen Counterpart: „Wir haben beide über die große Geschichte unserer Nationen reflektiert und die Tatsache, dass wir so erfolgreich zusammen im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben.“ Im Gespräch ging es auch um die Normalisierung der bilateralen Beziehungen und den Nahen Osten. Putin muss das wie Schalmeienklang vorgekommen sein, er bekommt, was er schon immer vor allem anderen wollte und die US-Regierungen unter Barack Obama und Joe Biden ihm verweigerten: die Anerkennung von Russlands Rolle als Großmacht und Gespräche auf Augenhöhe mit den USA.
Aber auch Putin weiß inzwischen, wie man Trump um den Finger wickelt. Kirill Dmitrijew, Chef des staatlichen Russischen Direktinvestitionsfonds, warb in Riadh um die Rückkehr amerikanischer Ölfirmen und lockte mit dem Zugang zu Rohstoffen in der Arktis. Dmitrijew ist Putins bester Mann für den Job: in Harvard und Stanford geschult, einstiger Mitarbeiter von Goldmann Sachs und McKinsey, global leader des Weltwirtschaftsforums in Davos. 2017 wollte er offenbar einen inoffiziellen Gesprächskanal zu Trump herstellen, musste das aber im Zuge der Ermittlungen wegen mutmaßlicher russischer Einflussnahme auf die US-Wahlen aufgeben. Nimmt man die Forderungen Trumps an die Ukraine, die Hälfte der Profite aus der Ausbeutung seltener Metalle an die USA als Kompensation für Unterstützung abzugeben, fragt man sich gelegentlich, ob es überhaupt noch um Frieden geht oder nur noch um Wirtschaft.
Einen nachhaltigen Frieden in der Ukraine wird es nicht ohne Sicherheitsgarantien des Westens geben. Es ist die wichtigste Frage, und zugleich umstrittenste. Geht es nach Trump, sollten die Europäer eine eigene Friedenstruppe aufstellen. Die lehnt nicht nur Moskau bisher ab, sondern auch ein großer Teil der Europäer. Allenfalls 30 000 Soldaten bekomme man zusammen, schätzte Polens Außenminister Radoslav Sikorski bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Aber wie sollten diese die 1200 Kilometer lange Kontaktlinie zwischen der Ukraine und Russland schützen? Ein solcher „Stolperdraht“ funktioniere nicht ohne eine Absicherung. Nach einer anderen Idee könnte die ukrainische Armee durch Langstreckenwaffen in einem Nato-Land unterstützt werden oder auch durch deren Stationierung in der Ukraine selber - mit der Auflage, sie nur einzusetzen, wenn nötig. Ein republikanischer Senator schlug in München die automatische Auslösung einer Nato-Mitgliedschaft vor, sobald Russland Abmachungen verletze. Von europäischen Politikern hörte man wenig außer den bekannten Floskeln, die Ukraine müsse siegen, Europa einig sein, Putin sei nicht zu trauen. „Es kann nicht sein, dass Russland die ukrainischen Gebiete bekommt, die USA die Bodenschätze und Europa die Zeche zahlt für die Friedenssicherung. Das funktioniert nicht. Wir müssen jetzt unsere Stärke mobilisieren“, sagte Kaja Kallas, die EU-Außenbeauftragte. Putin müsse weiterhin isoliert und sanktioniert werden. Nur – das Konzept hat schon bisher nicht funktioniert, warum gerade jetzt, da die USA eine völlig andere Richtung vorgeben?
Wäre es nicht sinnvoller für Europa, eigene Interessen zu definieren und endlich einen konkreten Plan vorzulegen, wie das unsägliche Blutvergießen in der Ukraine gestoppt werden könnte? Und vielleicht sogar über ein künftiges kollektives Sicherheitssystem nachzudenken? Das 50jährige Jubiläum der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im August wäre doch ein guter Anlass dafür. Die Unterzeichnung galt damals als ein Meilenstein der Entspannungspolitik zwischen Ost und West. Klare Vorstellungen Europas über einen Fahrplan wären schon deshalb gut, weil es im Trump-Tempo allenfalls bis zu einem Waffenstillstand reicht. Bis Ostern (20. April) soll der angeblich unter Dach und Fach sein. Die meisten Friedensverhandlungen in der Geschichte haben Jahre gedauert, und Waffenstillstände waren nicht selten nur taktische Unterbrechungen eines Krieges wie in Vietnam, wo der Süden und der Norden auch nach einem Abkommen 1973 immer wieder angriffen, wenn sie sich stark genug fühlten. Der Krieg endete erst 27 Monate später im Jahr 1975.
Und ein Wort noch zur Rede des US-Vize-Präsidenten Vance, die soviel Empörung auf der Münchner Sicherheitskonferenz ausgelöst hat. Er warf den Europäern vor, die freie Rede einzuschränken und vor allem in Deutschland die Stimmen rechtspopulistischer Wähler zu missachten. „Die wahre Bedrohung ist nicht Russland oder China sondern kommt von innen, wenn sich Europa von den eigenen Werten zurückzieht.“ Vance traf sich zudem mit AFD-Chefin Alice Weidel. „Unverschämtheit“ war auch mein erster Reflex. Was fällt den Amerikanern ein, sich in den deutschen Wahlkampf einzumischen! Andere sprachen von einer transatlantischer Epochenwende und der Ausrufung eines Kulturkampfes gegen liberale Demokratien. Alles irgendwie richtig. Aber sind wir Europäer nicht auch deshalb so empört, weil wir uns als wahre Hüter von Moral und internationalen Normen empfinden? Wir haben Werte an die Stelle von Interessen gesetzt, und über die lässt sich selbstverständlich nicht diskutieren, jedenfalls nicht mit Andersdenkenden, nicht mit Russen, nicht mit Rechtspopulisten. Die Sprachlosigkeit ist nicht nur unprofessionell, sie schadet europäischen Interessen.
In all der Aufregung blieb einer cool: Der finnische Präsident Alexander Stubb riet allen Konferenzteilnehmern, am besten erstmal in die Sauna zu gehen, anschließend ein Eisbad zu nehmen und dann nochmal in Ruhe nachzudenken. Für die Finnen ist die Sauna nicht nur ein Ort zum Schwitzen sondern auch zur Lösung aller Problemlagen des Lebens. Die Europäer könnten jetzt wohl ein Dauer-Abo gebrauchen.