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Kissinger und Pistorius

Die deutsche Außenpolitik muss in die Gänge kommen
March 26, 2025
March 26, 2025

Von Michael Backfisch, Berlin

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger war nicht unumstritten, galt aber als Vollprofi und Super-Stratege. Ein bisschen mehr Kissinger könnte auch dem nächsten deutschen Chefdiplomaten nicht schaden. Quelle: henryakissinger.com

Die Welt brennt. Die geopolitischen Achsen verschieben sich. Die internationale Ordnung ist durchlöchert. Es regiert das Gesetz des Dschungels. Die Stärkeren nehmen sich, was sie kriegen können. US-Präsident Donald Trump wirft dem vormals engen Bündnispartner Europa vor, er habe auf Kosten der Amerikaner „schmarotzt". Russland will sich in der Ukraine eine moskaufreundliche Regierung herbeibomben – allen von Trump inszenierten „Friedens"-Gesprächen zum Trotz. China zieht den Manövergürtel rund um Taiwan immer enger. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt friedliche Demonstranten niederknüppeln, die nach der fadenscheinigen Festnahme seines schärfsten Konkurrenten auf die Straße gingen. Und Israels Premier Benjamin Netanjahu befeuert durch den erneuten Bombenhagel auf den Gazastreifen die de-facto-Vertreibung der Palästinenser.

Sagen wir es, wie es ist: Die internationale Gemeinschaft gibt es nicht mehr. Sie ist nur noch eine Fiktion. Alte Gewissheiten gehen verloren. Trump „putinisiert" sich zunehmend: Er verbreitet die Narrative des Kremlchefs mit Blick auf den Ukraine-Krieg und versucht, die amerikanische Republik in einen Autokratenstaat umzumodeln.

Vor diesem Hintergrund strampelt sich Europa ab und sucht nach Orientierung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier preschen vor, während Deutschland um eine neue Regierung ringt.

Europa braucht dringend ein starkes Deutschland. Hier ist der Kanzler gefordert, aber auch der neue Außenminister oder die neue Außenministerin.  Der oder die Neue sollte ein besonderes Händchen für Europa haben. Möglicherweise muss die Gemeinschaft völlig neu erfunden werden. Ohne lähmendes Einstimmigkeitsprinzip, das durch die Blockierer vom Dienst – Ungarns Premier Viktor Orbán oder sein slowakischer Amtskollege Premier Robert Fico – jederzeit ausgehebelt werden kann. In den 90er- Jahren gab es immerhin mal das Schäuble-Lamers-Papier eines Europas der „zwei Geschwindigkeiten" mit einem „Kerneuropa" an der Spitze.

In jedem Fall muss der oder die Neue den Schulterschluss mit Frankreich suchen. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD) haben Macron links liegen gelassen. Dessen Sorbonne-Rede für ein souveränes Europa 2017 und die nachfolgenden Appelle trafen in Berlin auf eine Mauer des Schweigens. Das rächt sich jetzt.

Der oder die Neue muss prinzipienfest sein – aber bitte ohne Megafon. Gefragt ist die Fähigkeit zu filigraner Diplomatie, die erfahrungsgemäß vor allem hinter verschlossenen Türen stattfindet. Deutschland hat in der Vergangenheit zu sehr das Banner einer „wertegeleiteten Außenpolitik" geschwungen. Doch vom Hochsitz der moralischen Überlegenheit lässt sich die Welt nicht beeinflussen. Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) hat versucht, in Moskau oder Peking mit Klarer-Kante-Rhetorik für die Einhaltung der Menschenrechte zu trommeln. Das war gut für die innenpolitische Galerie in Deutschland. Aber was hat es tatsächlich gebracht?

Heute geht es nicht um publikumswirksames Predigen, sondern um kluge Interessenvertretung. Deutschlands Top-Diplomat oder Top-Diplomatin sollte politisch feuerfest sein, maximal viele Antennen für Dialog haben und einen realitätserprobten Sinn für Bündnisse und Koalitionen. Wenn man sich einen hybriden Kandidaten wünschen könnte, wäre es eine Mischung aus Amerikas Diplomatie-Legende Henry Kissinger und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Unter den derzeit genannten Anwärtern für den Außenamts-Job erfüllt niemand diese Anforderungen. Deutsche Außenpolitik ist bis dato eine Leerstelle. Das muss sich schnell ändern.