Trumps Wahlsieg birgt die Gefahr, dass die vielfältigen Abhängigkeiten Europas von den USA gegen uns eingesetzt werden können. Europa macht sich nun an die Wiederbelebung von bislang auf Eis gelegten Initiativen, die darauf abzielen, die europäische Souveränität vor einem Präsidenten zu schützen, der wiederholt ein Ende des europäischen Trittbrettfahrens gefordert hat. Von der europäischen Wirtschaft über die Verteidigung, bis hin zum Klima und zu einer Stärkung der europäischen Rechtspopulisten durch künftige Unterstützung aus den USA: Europa sucht nach Plänen, um den „vier apokalyptischen Reitern“ einer Trump-Administration zu begegnen. Doch zu den vier Reitern gesellt sich noch eine fünfte, weniger bekannte kritische Abhängigkeit: Europas Energiesicherheit in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG).
Für die meisten Volkswirtschaften dient LNG als Ergänzung zu langfristigen Lieferverträgen per Pipeline. LNG wird so meist zur Abfederung von Nachfragespitzen und zur Diversifizierung eingesetzt. China, der größte Gasverbraucher der Welt, ist ein Beispiel für diesen Ansatz. Aber auch für Deutschland galt diese Regel bislang im Hinblick auf die geringen LNG-Mengen, die uns über Belgien und die Niederlande erreicht haben.
Die russischen Gaslieferungen per Pipeline an die EU sanken von über 40 % im Jahr 2021 auf nur noch 8 % im Jahr 2023. Um die Differenz auszugleichen, beschafften europäische Energieversorger vor allem LNG. Infolgedessen stieg der EU-weite LNG-Anteil von 19% im Jahr 2021 auf 43% in 2023. Davon liefern die USA mittlerweile die Hälfte und somit dreimal mehr als noch im Jahr 2021. Das selbstgefällige Schulterklopfen in den europäischen Hauptstädten über den klaren Schnitt mit Russland täuschte über die Tatsache hinweg, dass die Lösung der Gaskrise für Deutschland noch stärker als für seine Nachbarn lediglich eine Abhängigkeit gegen eine andere austauschte: die USA gegen Russland.
Da sich Europa in einem massiven politischen Konflikt mit Russland befindet, kann man zu dem Schluss kommen, dass der Wechsel von Russland hin zu einer Abhängigkeit von den USA die Bedrohung beseitigt. Aber die Wahrheit ist, dass jede übermäßige Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten Gefahren birgt. Die Sicherheit liegt in der Diversifikation. Bei Trump deutet alles darauf hin, dass er bereit ist, mit handelspolitischen Instrumenten gegen Freunde und Feinde gleichermaßen vorzugehen. Bereits Biden ließ Europa aufhorchen, als er im Januar 2024 einen Stopp für neue LNG-Exportanlagen verfügte. Doch die als gut eingeschätzten transatlantischen Beziehungen sorgten schnell für Beruhigung. Das mag der Grund dafür sein, dass Europa eine spätere Mitteilung des Energieministeriums vom 23. Februar 2024 weitgehend ignorierte, in der zum ersten Mal ein geopolitisches Genehmigungskriterium für US-LNG-Exporte eingefügt wurde. So steht in der entsprechenden Rechtsvorschrift: „Wir dürfen unsere Energieressourcen nicht an konkurrierende Länder verkaufen, die nicht mit unseren Interessen und denen unserer Verbündeten übereinstimmen.“ Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, LNG-Lieferungen als Verhandlungsmasse in einem Außenwirtschaftsstreit einzusetzen.
In Anbetracht der einzigartigen Fähigkeit der USA, ihr LNG-Angebot kurzfristig auszuweiten, war es verständlich, dass sich Europa nach der Abkopplung von Russland an die USA wandte, um eine Lücke zu schließen. Doch diese Notmaßnahme ist nun zu einem dauerhaften Bestandteil der europäischen Energiesicherheit geworden. Sollte Trump die LNG-Karte ausspielen und etwa Exportzölle auf LNG verhängen, stünde Europa ohne eine ernsthafte Alternative da.
Afrikanische Lösungen
Die Abhängigkeit von den USA hätte bereits in den vergangenen Jahren abgemildert werden können, wenn europäische Versorger sich auch in Afrika mit Gas eingedeckt hätten. Die afrikanischen LNG-Anlagen erzeugen jährlich 60 Mrd. m3 LNG, was der Hälfte der 120 Mrd. m3 entspricht, die Europa jährlich verbraucht. Ein Teil der 60 Mrd. m3 kommt heute schon nach Europa als Teil der regulären Versorgung etwa von Spanien und Frankreich, wie sie auch vor der russischen Gaskrise bestand.
Besonders spannend sind allerdings die derzeit in Entwicklung befindlichen neuen Förderprojekte, die einen deutlichen Ausbau der LNG-Lieferungen aus Afrika ermöglichen würden. Europa hat es jedoch versäumt, sich entschlossen um afrikanische Erdgasangebote zu bemühen, als es die russischen Lieferungen beendete. Zahlreiche afrikanische Produzenten waren daran interessiert, LNG nach Europa zu verkaufen, wurden aber weitgehend ignoriert. Der deutsche Vorstoß in den senegalesischen Erdgasmarkt ist ein Beispiel für diese Entwicklung. Als Bundeskanzler Scholz auf dem Höhepunkt der europäischen Energiekrise im Jahr 2022 eine LNG-Belieferung mit dem senegalesischen Präsidenten Macky Sall anstrebte, scheiterte ein vielversprechender Vorschlag an der mangelnden Umsetzung. Die senegalesischen LNG-Ressourcen erforderten eine langfristige Abnahmeverpflichtung mit einer Laufzeit von bis zu zwanzig Jahren, ein Risiko, das der private deutsche Energiesektor nicht eingehen wollte.
Dieses hohe Risiko konnten die deutschen Unternehmen – mitten in einer massiven finanziellen Krise – nicht allein tragen. Der Abschluss solcher Lieferbeziehungen wäre nur möglich gewesen, wenn die Bundesregierung Anreize zur Diversifizierung durch staatliche Eingriffe geschaffen hätte. Denkbar wären hier verschiedene Modelle. Etwa eine Garantie des Bundes, mögliche Verluste aus solchen Verträgen auszugleichen, wenn sich die Marktlage deutlich ändert. Oder eine Verpflichtung der Energieversorger zur Diversifizierung. Ohne einen solchen Eingriff beschafften sich die Energieversorger nach den Regeln des Marktes Ersatzmengen für die russischen Lieferungen bei der günstigsten Quelle – den USA. Versorgungssicherheit jedoch stellt ein öffentliches Gut dar. Ein rein auf Marktmechanismen beruhender Ansatz wird daher nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Diversifizierung erfordert regulatorische Maßnahmen. Da die deutsche Bürokratie eine solche Notwendigkeit nicht sah, folgten die zu erwartenden Ergebnisse: Die Gasbeschaffung aus dem Senegal kam nicht zustande, stattdessen setzten die deutschen Energieversorger weitgehend auf Lieferungen aus den USA. Senegal steht dabei exemplarisch für eine ganze Reihe weiterer Länder in Afrika, die die Förderung ausweiten und Deutschland mit LNG beliefern könnten.
Was kann Europa tun?
Die aktuelle Lage und die Gefahr einer Verschärfung durch Präsident Trump erfordern nun zweierlei Maßnahmen:
Erstens: In Bezug auf Erdgas sollten die EU und ebenso die deutsche Bundesregierung Maßnahmen treffen, die eine Diversifizierung der Lieferbeziehungen für die privaten Versorger ermöglichen und den Abschluss langfristiger Gaslieferverträge anreizen. Erdgas muss eine „Brückentechnologie“ für die Umstellung auf erneuerbare Energien sein. Diejenigen, die den Übergang zur grünen Energie als eine binäre Entscheidung darstellen, übersehen, dass eine Versorgung mit hundert Prozent Erneuerbaren auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird. In Ermangelung ausreichender Speicherkapazitäten braucht es fossile Optionen, wenn Sonne und Wind nicht ausreichend Strom erzeugen. Erdgas ist nach wie vor die beste Option: Es lässt sich leicht speichern, ist relativ umweltfreundlich und – anders als etwa Kernkraftwerke – flexibel zuschaltbar. Und schließlich kann die Infrastruktur, d. h. die Pipelines und Importterminals für LNG, später auch für grünen Wasserstoff verwendet werden. Europa hat schon einmal schwierige Entscheidungen vermieden, indem es sich an die USA gewandt hat, um eine riesige Lücke in seiner Energiesicherheit zu schließen, die Russland verursacht hat. Nun hat Kommissionspräsidentin von der Leyen vorgeschlagen, auf noch mehr US-LNG zu setzen, anstatt diese neue Abhängigkeit zu reduzieren.
Zum zweiten: Grüner Wasserstoff kann eine Absicherung der Energiesicherheit anstelle von LNG sein. Wenn er über dieselbe Pipeline-Infrastruktur wie Erdgas von Nordafrika nach Europa transportiert oder in transportfähiges Ammoniak umgewandelt und per Schiff geliefert wird, bietet er eine Win-Win-Situation. Die sonnenreichen Gegenden Afrikas bilden die perfekte Ausgangsbasis für die Nutzung von Photovoltaik-Strom, der zur Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff verwendet werden kann. Allerdings ist dies auf absehbare Zeit noch wesentlich teurer als Flüssigerdgas. Die Verfolgung dieser Option wird in zweierlei Hinsicht erschwert: Erstens hat die EU komplizierte Vorschriften entwickelt, um Kriterien für die „Umweltfreundlichkeit“ von Wasserstoff festzulegen, der nach Europa importiert wird, und zweitens fehlt ihr immer noch ein Plan zur Überbrückung des Preisunterschieds, um Anreize für eine Diversifizierung weg von US-LNG zu schaffen. Um hier Abhilfe zu schaffen, muss die EU sich an die afrikanischen Entwicklungsrealitäten anpassen. Afrika teilt die grünen Ambitionen Europas, aber der Weg zu ihrer Verwirklichung wird länger dauern. Die EU und die Mitgliedsstaaten, die besonders stark auf Energielieferungen angewiesen sind, müssen daher einen differenzierten Ansatz für die Klimaziele wählen, der die besonderen Umstände Afrikas und die sehr realen Bedürfnisse Europas nach Energiesicherheit berücksichtigt. Eine Paketlösung aus langfristigen LNG-Lieferungen und enger Zusammenarbeit beim Aufbau einer gemeinsamen Wasserstoffwirtschaft wären in beiderlei Interesse.
Harte Entscheidungen zwischen Umweltschutz, Energiepreisen und der nationalen Versorgungssicherheit können nicht länger aufgeschoben werden. Die neue EU-Kommission muss sie spätestens gemeinsam mit einer neuen Bundesregierung entschlossen angehen. Die Entwicklungspolitik wird dabei eine größere Rolle spielen als viele denken.
Prof. Dr. Stefan Liebing ist geschäftsführender Gesellschafter der Conjuncta GmbH, eines Projektentwicklers und Investmentunternehmens mit Fokus auf dem afrikanischen Kontinent. Er lehrt als Honorarprofessor am Afrikazentrum der Hochschule Flensburg und war von 2011 bis 2023 Vorsitzender des Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft e.V.
Theodore Murphy ist derzeit Associate Senior Policy Fellow beim European Council of Foreign Relations (ECFR), wo er zuvor als Direktor des Afrika-Programms tätig war. Seine Arbeit konzentriert sich auf die geopolitischen Aspekte der strategischen Beziehungen zwischen Afrika und Europa in den Bereichen Klima, Wirtschaft, Frieden/Sicherheit und globale Ordnung.