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Was Trumps zweite Auflage der "America First"- Politik für die Welt und besonders für Europa bedeutet
January 15, 2025
January 15, 2025

Von Michael Backfisch

Das Weiße Haus in Washington ist die Machtzentrale des politischen Amerika und bald zum zweiten Mal Sitz von Donald Trump. Foto: Gudrun Dometeit, diplo.news

Beim Blick nach Washington gilt künftig der Leitspruch: Nichts ist so gewiss wie die Ungewissheit. Wenn Donald Trump am 20. Januar 2025 als 47. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird, bleiben manche als sicher geglaubte Grundsätze auf der Strecke. Trump sei ein Isolationist, der die USA aus internationalen Krisen heraushalten, „Amerikas endlose Kriege“ beenden und sich ganz auf das eigene Land fokussieren wolle, hieß es immer wieder. Ein Missverständnis. Oder eine Fehleinschätzung.

Inzwischen wissen wir: Das Motto „Make America Great Again“ bedeutet keineswegs einen Rückzug auf die USA. Hinter dem Slogan steckt eine knallharte nationale Interessenpolitik auch auf der internationalen Bühne. Amerikas wirtschaftlicher Vorteil wird zur obersten Maxime von Trumps Außenpolitik. Einschüchterung und Erpressung gehören zu seinen Instrumenten. Der ehemalige New Yorker Immobilienmogul hat den großen Deal, das politische Geschäft zugunsten der USA, zum Maß aller Dinge erkoren.

Die Parameter von Trumps Außenpolitik sind zumindest in Umrissen erkennbar. Wenige Tage vor der Vereidigung fährt der künftige Präsident maximale Druck -und Drohkulissen auf. Die Warnungen, das rohstoffreiche Grönland notfalls zu annektieren sowie den für die Handelsschifffahrt bedeutenden Panamakanal zu übernehmen oder Kanada durch wirtschaftlichen Druck als 51. US-Bundesstaat zu vereinnahmen, sind ernst zu nehmen.

Aber würde Trump wirklich so weit gehen? Völlig ausgeschlossen ist das nicht, aber unwahrscheinlich. Es entspricht dem Naturell des 78-Jährigen, Angst und Schrecken zu verbreiten, um einen Gewinn für sein Land herauszuholen. Im Fall von Grönland könnten dies mehr Rechte zum Abbau von kostbaren Ressourcen wie Seltenen Erden oder Uran sein. Oder weitere US-Truppenstützpunkte in der geopolitisch brisanten Arktis-Region. Im Fall des Panamakanals könnte es um geringere Gebühren für die Passage amerikanischer Schiffe gehen.

Beides wären auch offensive Maßnahmen, um den wirtschaftlichen Einfluss Chinas zu beschneiden. Peking betreibt auf der atlantischen und der pazifischen Seite des Panamakanals jeweils ein Hafenterminal, was Trump ein Dorn im Auge ist. Darüber hinaus ist China bereit bei der Ausbeutung von Bodenschätzen in Grönland aktiv. An den arktischen Schifffahrtsrouten sind Amerika, China und Russland höchst interessiert.

Der wirtschaftliche, politische und militärische Aufstieg der Volksrepublik, die perspektivisch die Weltmacht Amerika überholen könnte, wird in Washington parteiübergreifend als größte strategische Herausforderung und Gefahr angesehen. „Im Grunde geht es Trump darum, die USA auf Hightech-Gebieten wie Computerchips, Halbleiter, Künstliche Intelligenz, Robotik, Satellitentechnik, auch auf vielen Gebieten der chemischen und pharmazeutischen Industrie, klar von China abzukoppeln“, sagt  Klaus Larres von der University of North Carolina in Chapel Hill.

Aber auch Richtung Europa wird der Druck aus Washington stark zunehmen. Mit der Androhung einer Zollkeule von bis zu 20 Prozent will Trump europäische Unternehmen de facto zwingen, in den Vereinigten Staaten zu produzieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Für die Nato hat Trump die Messlatte extrem hochgelegt: Fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung sollen die Bündnismitglieder für die Verteidigung ausgeben – eine Vorgabe, die bis dato nicht einmal die USA mit aktuell 3,4 Prozent erfüllen.

Der künftige US-Präsident hat immer wieder klargemacht, dass er sich an den Automatismus einer Bündnispflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrags nicht gebunden fühlt. Europas Sicherheit sei in erster Linie Sache der Europäer, betonte er. Springt dabei jedoch ein Deal für Amerika heraus, könnte die Lage anders aussehen: Im Fall von milliardenschweren Waffenbestellungen bei US-Rüstungsunternehmen wäre Trump vermutlich nicht abgeneigt, einen Schutzschirm über den Kontinent aufzuspannen. Militärleistung gegen Cash, lautet seine Devise. Ein Modell, das er wohl auch gern mit Blick auf Taiwan oder Südkorea anwenden würde. Ob Trump tatsächlich wie in seiner ersten Amtszeit mit dem Gedanken spielt, aus der Nato auszusteigen, ist offen.

In Bezug auf den Ukraine-Krieg ist Trumps Position klar: Der Waffengang soll so schnell wie möglich beendet werden. Bereits heute deutet vieles darauf hin, dass Amerika seine Militärhilfe für die Ukraine drastisch reduzieren oder sogar auf null fahren wird. Die Zeiten, in denen sich Amerika als größter Ukraine-Unterstützer hervortat, sind vorbei. Die Biden-Administration hatte hierfür mehr als 60 Milliarden Dollar lockergemacht. Sollten nach einem künftigen Waffenstillstand Sicherheitsgarantien für die Ukraine oder Friedenstruppen an einer möglichen Demarkationslinie gefragt sein, sieht Trump die Europäer in der Pflicht.

Dem Chef des Weißen Hauses schwebt eine Übereinkunft auf höchster Ebene vor. Dass er Autokraten wie den russischen Präsidenten Wladimir Putin bewundert, ist kein Geheimnis. Bereits kurz vor Beginn des Ukraine-Krieges hatte er Putin als „genial“ und „schlau“ bezeichnet. In Trumps Logik wird ein Durchbruch am besten durch ein Tête-à-Tête der Polit-Titanen erzielt. „Er will, dass wir uns treffen, und wir sind dabei, das zu organisieren“, sagte der Republikaner kürzlich mit Blick auf eine Begegnung mit dem Kremlchef. In Europa befürchten viele, dass eine mögliche Einigung mit Gebietsverlusten für die Ukraine einhergeht.

Vieles spricht dafür, dass Trump genau dazu bereit wäre, um den Krieg beizulegen. Dass der neue Sondergesandte für die Ukraine, Keith Kellogg, seinen für Anfang Januar geplanten Besuch in Kiew kurzfristig verschoben hat, ist für das angegriffene Land kein gutes Zeichen. Kellogg hatte vor der US-Präsidentschaftswahl einen Plan vorgelegt, wonach der Krieg eingefroren und die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine auf die lange Bank geschoben werden soll.

Die Ukrainer haben gleichwohl noch einen Funken Hoffnung: Sie setzen dabei auf Trumps Unberechenbarkeit. Denn sie wissen, dass sich der neue US-Präsident nichts sehnlicher wünscht, als vor den Kameras der Weltpresse als großer Vermittler gefeiert zu werden, dem am Ende sogar der Friedensnobelpreis winkt. Bei einer Kapitulation der Ukraine stände er als Mann da, der ein um Unabhängigkeit und Freiheit kämpfendes Land geopfert hat. Damit könnte er keine Lorbeeren ernten. Deshalb müsste Putin Kompromisse machen, um Trump in einem Deal als Konfliktlöser strahlen zu lassen. Tut er dies nicht, riskiert er, dass der Chef des Weißen Hauses noch tödlichere und weitreichendere Waffen in die Ukraine schickt. An diesen seidenen Faden klammern sich die Ukrainer.

Im Nahen Osten wird Trump Israel noch mehr Freiraum lassen als der scheidende US-Präsident Joe Biden. Israels Premier Benjamin Netanjahu könnte sich ermutigt sehen, nach der weitgehenden Zerstörung der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon auch den großen Terror-Unterstützer Iran ins Visier zu nehmen. Er träumt schon lange davon, die iranischen Nuklearanlagen in Schutt und Asche zu legen und die Gefahr einer Atombombe im Besitz der Mullahs aus der Welt zu schaffen.

Trumps Iranpolitik war in seiner ersten Amtszeit doppelbödig. Einerseits wollte er durch Sanktionen „maximalen Druck“ in der Nuklearfrage erzeugen. Andererseits betonte er, er strebe keinen Regimewechsel an. Nicht ausgeschlossen, dass Trump auch mit dem Iran eine Vereinbarung versuchen wird, um dessen Atomprogramm drastisch zu beschränken. Möglicherweise holt er Saudi-Arabien mit ins Boot, gegen den Preis minimaler Zugeständnisse an die Palästinenser und ein Ende des Gaza-Krieges. Dass Trump auch diplomatische Coups landen kann, bewies er 2020 mit dem Abraham-Abkommen über die Annäherung Israels mit arabischen Staaten wie Marokko oder den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Dennoch bleibt als Fazit: In der zweiten Trump-Administration wird der alte Westen zu Grabe getragen. Die demokratische Werte- und Bündnisgemeinschaft mit der Führungsmacht Amerika ist tot. Internationale Institutionen haben für Trump keine Bedeutung. Die USA werden sich aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und wohl auch aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zurückziehen. Die Innen- wie die Außenpolitik der Vereinigten Staaten ordnen sich dem Prinzip „America First“ unter.

Je eher die Europäer – und auch die künftige Bundesregierung – sich darauf einstellen, desto besser. Denn der Ruf nach der Verteidigung der „regelbasierten internationalen Ordnung“, einst das Mantra von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist verhallt. Die Forderung einer „wertegeleiteten Außenpolitik“, die die Berliner Ampel als ethisches Korsett im Koalitionsvertrag verankert hatte, ist passé.

Es beginnt eine neue Ära der Großmächte. Die internationale Arena wird künftig von den Autokratien China und Russland dominiert sowie einem Amerika, das Trump zu einer Semi-Autokratie umgestalten will. Die EU muss sich neu erfinden, will sie nicht als impotenter Staaten-Club an den Rand gedrängt werden. Überwiegen Uneinigkeit und Spaltung, wird sie zum Spielball der XXL-Akteure. „America First“ ist ein Weckruf.