Ein Kommentar von Eberhard Sandschneider, Berlin
Es gibt kaum ein kritisches Kompliment, das man Donald Trump noch nicht um den Hals gehängt hätte. Erratisch, selbstverliebt, egoman – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Nur eines ist gewiss: der amerikanische Präsident ist kein Diplomat, sondern ein Erpresser. Sein Credo, Deals machen zu wollen, folgt der simplen Logik, maximale Forderungen zu Lasten Anderer aufzustellen, um hinterher eine bessere Situation für sich selbst beziehungsweise sein Land aushandeln zu können. Seine Drohungen vor allem gegen schwächere Staaten folgen einer sattsam bekannten imperialistischen, ja geradezu kolonialistischen Logik. Den Betroffenen – also vor allem den Europäern - sollte allmählich klar werden, dass es sich hier um eine fundamentale Veränderung geopolitischer Zusammenhänge handelt.
Die Zeiten transatlantischer Nostalgie und Verlässlichkeit sind vorbei. Sie werden wohl auch nicht wiederkommen. Die westliche Führungsmacht gibt ihre Rolle auf, wird isolationistisch, immer stärker auch imperialistisch und behandelt ehemalige Alliierte genauso schlecht wie ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Widersacher. Wer jetzt noch von einer transatlantischen Wertegemeinschaft träumt, hat den Schuss nicht gehört. Gegenüber einem Erpresser hat Schönreden noch nie geholfen. Die einzige Sprache, die Trump und seine Konsorten zu verstehen scheinen, ist die Sprache politischer und ökonomischer Macht. Wer sich auf Verhandlungen einlässt, bestätigt den Dealmaker – und hat schon verloren.
Manches an der derzeitigen geopolitischen Diskussion in Deutschland ist immer noch von einer Verklärung transatlantischer Traumwelten und mittlerweile ganz offensichtlich von Einfalt geprägt. Neben den Rundumschlägen der amerikanischen Administration beobachtet man auch in anderen Teilen der Welt die geopolitischen Verschiebungen mit großer Aufmerksamkeit. Russland tut das, China tut das allemal. Vom Rest der Welt ganz zu schweigen. Auch aus der Perspektive des sogenannten „globalen Südens“ verändern sich die Vorzeichen geopolitischer Möglichkeiten. Und nicht alle sehen im Vorgehen der amerikanischen Regierung gegen die Globalisierungsmuster der vergangenen Jahrzehnte zwangsläufig einen Nachteil.
Wer den Trumpschen Eskapaden mit Aussicht auf Erfolg begegnen will, darf in der Wahl seiner Partner genauso wenig zimperlich sein, wie Trump es bei der Wahl seiner Drohgebärden ist. Russland ist trotz aller Überlegungen zur Wiederaufnahme der energiepolitischen Zusammenarbeit solange kein geeigneter Partner, wie der russische Präsident darauf bauen kann, mit Hilfe der USA seine Maximalziele in der Ukraine – auch zu Lasten Europas – durchsetzen zu können. Wenn das Ziel darin bestehen soll, die amerikanische Administration zu einem Umdenken ihrer geopolitischen und geoökonomischen Disruption zu bewegen, hilft wohl nur ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Bei allen Unterschieden in Fragen von Werten mit einem Land wie China könnte eine punktuelle Zusammenarbeit mit dem Ziel der Abwehr der amerikanischen Zollpolitik in Washington vermutlich doch Eindruck schinden.
Anbiederung kann keine Antwort sein
Für China selbst war die Trump‘sche Zollpolitik keine Überraschung. Entsprechend schnell konnte das Land mit Gegenmaßnahmen reagieren. In Peking weiß man, dass das eigentliche Ziel von MAGA die Eindämmung Chinas ist. Entsprechend groß ist das Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit Europa. Um sich des erwarteten amerikanischen Druckes zu erwehren, signalisiert man aus China bereits seit geraumer Zeit ein großes Interesse an einer Vertiefung der Zusammenarbeit mit Europa. Was fehlt, ist eine konstruktive Reaktion Europas auf diese Angebote. Die deutsche Außenpolitik der Ampel-Regierung war in ihrer wertegeleiteten Überfrachtung in dieser Frage eher kontraproduktiv. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit, diese Politik grundlegend zu überdenken.
Wahrscheinlich würde die Zusammenarbeit mit einzelnen Ländern wie China aber nicht einmal ausreichen: Eine mutige europäische und deutsche Antwort auf Trump müsste in einer multilateralen, konzertierten Aktion bestehen, die auch den Ideologen im Weißen Haus klar macht, dass die USA Teil einer Weltwirtschaft sind, die zu untergraben den vitalen Interessen des eigenen Landes fundamental widerspricht. Einen Versuch wäre es wert, bevor die Folgen der amerikanischen Politik Deutschlands Wirtschaft endgültig ins geoökonomische Abseits drängen. Allerdings steht nicht zu erwarten, dass eine solche Zusammenarbeit auf Sicht zustande kommt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass fast alle Betroffenen zunächst über ihre eigenen Reaktionen nachdenken, bevor sie nach Verbündeten suchen. Die Anbiederung von Vietnam und Kambodscha, aber auch die harte Reaktion Chinas sind gute Beispiele für erwartbare Versuche, den Erpresser zufrieden zu stellen bzw. ihm entgegen zu treten. Letztlich dürfte darin sogar Trumps simples Kalkül bestehen: Teil und herrsche, ist ein Prinzip, das auch anderen globalen Mächten durchaus vertraut ist.
Deutschland wird also lernen müssen, seine transatlantische Nostalgie abzulegen und ohne die Unterstützung der USA seine Sicherheit zu gewährleisten und seine wirtschaftliche Zukunft zu sichern. Wer möchte kann, sich mit dem Gedanken trösten, dass all diese Prozesse auch wieder umkehrbar sein könnten, wenn sich der amerikanische Furor wieder gelegt hat. Bis dahin aber ist nüchterner Realismus und wenn es sein, muss auch, gnadenlose Pragmatik angesagt. China ist für eine solche Politik durchaus ein Partner, um dem „systemischen Rivalen“ USA entgegen zu treten.
Prof. Dr. Eberhard Sandschneider gilt als einer der renommiertesten Experten für Ostasien, hielt ab 1998 einen Lehrstuhl für Chinastudien und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Von 2003 bis 2016 war er Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Heute ist er Partner des geopolitischen Beratungsunternehmens Berlin Global Adviser. Er schrieb u.a. das Buch "Globale Rivalen: Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens" (Global Rivals: China’s Uncanny Rise and the Helplessness of the West, 2008)