Suchen

diplo.news

news & views

Argusaugen der Diplomatie und die Machtbalance

Mit Argusaugen beobachten die ausländischen Botschafter in Berlin, was aus dem neuen Koalitionspapier wird und welche Personen welche Ministerien besetzen – und vor allem wie Machtbalance in der Außen- und Sicherheitspolitik aussieht. Konkret: Ob sich der langjährige Trend fortsetzt, dass das Bundeskanzleramt immer mehr Außenpolitik gestaltet als das Außenministerium.
April 10, 2025
April 9, 2025

Von Ewald König

Wie auswärtig ist das Auswärtige Amt noch?

Die Rivalität in Sachen Außenpolitik hat eine lange Geschichte und viele Geschichten. Ich erinnere mich an Horst Teltschik, den späteren Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz. Er war Bundeskanzler Helmut Kohls außenpolitischer Berater, und zwar ein sehr selbstbewusster Gestalter von Außenpolitik für seinen Chef. Damals war allerdings auch der Außenminister eine starke Figur, Hans-Dietrich Genscher; folglich gab es zwischen dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt viele Eifersüchteleien, teilweise hinter den Kulissen, teilweise auf offener Bühne.

Als Gerhard Schröder Regierungschef und Joschka Fischer Außenminister war, lag die Außenpolitik abermals in der Hand zweier starker Akteure. Das Ergebnis war ein ständiges Gerangel zwischen den beiden. Das zeigte sich vor allem in der Europapolitik. Fischer musste zusehen, wie das Kanzleramt die Europapolitik immer mehr an sich riss. Legendär ist die Klarstellung Schröders, wer Koch und wer Kellner sei.

Unter Angela Merkel war die Machtbalance anders verteilt. Ihre Außenminister hatten nicht das Gewicht ihrer Vorgänger, vor allem nicht Guido Westerwelle und schon gar nicht Heiko Maas. Einzig Sigmar Gabriel hatte das Zeug dazu, er war aber nur Interimsminister.

Zunehmend kristallisierte sich die Aufgabenteilung heraus: Das Kanzleramt muss den Überblick über die deutschen Außenbeziehungen und Krisen der Welt behalten und die Politik zentral steuern, gibt den Ton an und hat außerdem die Richtlinienkompetenz – auch in der Außenpolitik. Währenddessen reist der Außenminister oder die Außenministerin durch die Weltgeschichte und ist hauptsächlich fürs Exotische zuständig.

Nun richten sich die Argusaugen der diplomatischen und nachrichtendienstlichen Beobachter auf das neue Gefüge. Es sieht ganz danach aus, dass der Trend außenpolitischer Kompetenz weiterhin in Richtung Kanzleramt wabert. Merz hatte mehrmals angekündigt, er wolle zentrale außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen wegen der internationalen Verflechtungen im Kanzleramt bündeln. Nicht zu vergessen, dass Merz viele Jahre lang Vorsitzender der Atlantikbrücke war und gute Kontakte aufgebaut hat, selbst wenn die unter Donald Trump nicht viel helfen mögen. Aber der designierte Regierungschef hat definitiv mehr außenpolitischen Ehrgeiz als sein Vorgänger.

Ein Indiz dafür die auch der Plan, den Nationalen Sicherheitsrat zu formieren und im Kanzleramt anzusiedeln. In einer Grundsatzrede kündigte Merz vor kurzem an, dieser Nationale Sicherheitsrat solle Dreh- und Angelpunkt für die kollektive politische Entscheidungsfindung der Regierung in allen wesentlichen Fragen der Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Entwicklungspolitik und Europapolitik sein. Ein klares Statement, an das sich der neue Außenminister wird gewöhnen müssen.

Die neuen Strukturen und Merz' Ambitionen könnten endlich dazu beitragen, wieder eine Außenpolitik aus einem Guss zu gestalten, die nicht länger hin- und hergerissen wird zwischen diplomatischen, humanitären, sicherheitspolitischen und finanziellen Interessen des Bundeskanzleramts, des AA, des Entwicklungshilfe-, des Verteidigungs- und des Finanzministeriums.

Das Bild mit den Argusaugen geht in der griechischen Mythologie auf den Riesen Argus zurück, der von der eifersüchtigen Hera den Auftrag hatte, Zeus und seine Geliebte scharf zu beobachten. Das Motov Eifersucht lässt sich hier auf das Verhältnis zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Kanzleramt übertragen. Und das Ausland sieht genau hin.