Von Ewald König
Dank der EU-Einwegkunststoffrichtlinie landet der Plastikdeckel ja nicht mehr irgendwo, sondern im Recycling. Es ist aber nicht Dankbarkeit für diese nachhaltige Maßnahme, weswegen ich beim Aufschrauben an die EU denke. Es ist eher der Ärger über die Prioritäten der EU. Eine Prioritätensetzung, die auch ausgewiesene Pro-Europäer nervt.
Rund um die EU ist die Welt aus den Fugen geraten. Und selbst innerhalb der Union stimmt vieles nicht mehr. Wir lassen zu, dass sich Europa in seinen Außenbeziehungen verzwergt und in seinen Binnenbeziehungen zerbröselt. Aber die Plastikdeckel bleiben dran.
Wir haben die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) auf dem Papier, aber zu wenig in der Realität. Ebenso wenig haben wir – im zehnten Jahr seit der Flüchtlingswelle von 2015 – Erfolge, wie man die illegale Migration in den Griff kriegt. Aber die Plastikdeckel bleiben dran.
Wer hört die europäische Stimme unter den Global Playern? Wer nimmt uns ausreichend ernst? Wie groß warten die Erwartungen an das weltweite Netz an EU-Botschaften, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), und wo ist die Erfolgsbilanz, die den gigantischen Aufwand rechtfertigt?
Warum reisen Regierungschefs oder Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten weiterhin wie früher in nationaler Mission in die Welt und nicht im europäischen Rahmen? Was sollen geopolitische Akteure davon halten, dass Besucher aus dem alten Kontinent sogar mit unterschiedlichen Botschaften kommen? Aber die Plastikdeckel bleiben dran.
Die großen Krisen und disruptiven Ereignisse der vergangenen Jahre wurden stets als Wake-up-Call für Europa gewertet. Doch scheint sich Brüssel an immer häufiger wiederkehrende Wake-up-Calls gewöhnt zu haben. Bei Urlaubs- und Karriereplanungen und im viel zu langen Ausfall infolge Europawahl und Kommissionsbildung geht an der Europäischen Union vieles vorbei.
Auch bedenkliche Tendenzen in der Rechtsstaatlichkeit mancher EU-Mitgliedsstaaten bieten Grund für Nervosität und rechtfertigen es nicht mehr, anderen Ländern gegenüber belehrend und besserwisserisch aufzutreten, ihnen Reformen abzuverlangen – Stichwort Lieferkettengesetz, mit dem die EU die heimische Wirtschaft mit Berichtspflichten zuschüttet und die Wirtschaft in Entwicklungs- und Schwellenländern drangsaliert.
Jüngstes Beispiel für verschobene Maßstäbe ist Österreich. Der Rechtsaußen Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ ist mit der Regierungsbildung beauftragt und wird wohl Bundes- bzw. „Volkskanzler“ werden, wenn er sich mit der ÖVP auf eine Koalition einigen kann. Wie mancher Amtskollege wird Kickl Europaskepsis zelebrieren. Der innere Zusammenhalt der Union wird ausgehöhlt. Aber die Prioritätensetzung gewährleistet, dass die Plastikdeckel dranbleiben.