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Geteilte Nationen: Prüfstein für die Diplomatie

Was können Nationen, die geteilt sind, von der deutschen Wiedervereinigung lernen? Ein Vergleich mit China, Taiwan, Korea und Zypern. Rezension eines Standardwerks.
Autor:
Ewald König
/
December 4, 2024
July 24, 2024
Das Buchcover zeigt Willy Brandt am 10. November 1989 vor dem Brandenburger Tor und darunter die Grenze zwischen Nord- und Südkorea

Das Ausland fragt oft, was die Hauptgründe seien, die zur deutschen Einheit geführt haben. Das gilt besonders für Südkorea. Werner Pfennig zählt zehn für Deutschland zutreffende Hauptgründe auf, um dann zu resümieren, dass alle zehn Punkte für Korea nicht zutreffen. Während Deutschland noch um die innere Einheit ringt, ist in allen anderen Fällen offen, ob es ein bitteres Ende oder einen glücklichen Ausgang gibt – oder ob sich der Status quo lange fortsetzt.

Natürlich lassen sich die diversen Teilungen nicht so einfach vergleichen. Die Volksrepublik China und Taiwan sind trotz der Teilung ökonomisch verflochten. Nord- und Südkorea sind in jeglicher Hinsicht brutal getrennt. Die Teilung Zyperns – die Mittelmeerinsel blickt schon auf fünfzig Jahre dieses Zustands zurück – scheint stabil zu sein, obwohl der griechische und der türkische Teil miteinander in Kontakt sind. Die deutsche Teilung war kompliziert, dennoch gab es Kontakte und gelegentliche Zusammenarbeit. Das geteilte Irland kommt in Pfennigs Buch übrigens nicht vor. 

Was Korea betrifft, findet Pfennig, dass zwar immer noch die USA den Schlüssel für die regionale Sicherheit in Ostasien haben, dass aber die Bedeutung Chinas wächst. „Vielleicht ist es bei Korea inzwischen wie bei einem Banktresor, der nur mit zwei Schlüsseln gleichzeitig geöffnet werden kann.“

Was für Diplomaten ein Lehrbeispiel sein könnte, sind die 15 Etappen von Normalisierungsprozessen, die Pfennig – trotz vieler Unterschiede bei den Fallbeispielen – plausibel zusammenfasst. Am Anfang der Etappen stehen immer Feindseligkeiten, Drohungen und Abschreckungen. Der Wille zu einem Kompromiss, einem „dritten Weg“, fehlt. Es folgen Lagerbildung, Sanktionen und verinnerlichtes Misstrauen. Irgendwann bemüht man sich um Kommunikation, auch wenn die Kontakte nicht belastbar und brüchig sind. Wichtig sind hier verdeckte, vertrauliche Gesprächskanäle, „back channels“, in denen besonders komplizierte Fälle ohne Öffentlichkeit kommuniziert werden. 

Dann können Wirtschaftskontakte folgen, die Vorreiter für politische Entwicklungen sind. Der Normalisierungsprozess kann sich in vielen Stufen fortsetzen, bis es zu halboffiziellen Verhandlungen und schließlich zu vertraglicher Absicherung von Zusammenarbeit kommt. Die 15 Etappen, so unterschiedlich sie im konkreten Fall auch anzuwenden sind, sollen Diplomaten anregen, Phantasie in ausweglos erscheinenden Situationen zu entwickeln.

Das Buch hat 642 Seiten und ist alles andere als oberflächlich. Es ist wissenschaftlich präzis und trotzdem verständlich und sehr gut lesbar. Der Leser profitiert davon, dass sich Werner Pfennig sein ganzes Leben mit geteilten Nationen beschäftigt hat – nicht nur als Wissenschaftler, sondern sogar mit persönlichem Bezug. Er ist ein noch in Schlesien geborener Berliner. Die Schule besuchte er in beiden Teilen der Stadt. Die Erfahrungen in der eingemauerten Halbstadt waren für ihn lebenslang prägend. Die Teilung war ständiges Thema und bereitete ihm oft auch praktisch-persönliche Probleme, wie er im Vorwort schreibt. Auch als Universitätsdozent begleitete ihn das Thema. Da beschäftigte er sich eher mit den Teilungen in Ostasien (China, Taiwan, Korea), „weil ich mir ziemlich sicher war, eine deutsche Vereinigung nicht mehr zu erleben.“

Über mehrere Jahrzehnte hinweg beschäftigte er sich mit geteilten Nationen, speziell mit der Problematik einer Normalisierung, wenn klar war, dass eine schnelle Wiedervereinigung nicht zu erreichen ist. Das Thema verfolgte ihn in Bibliotheken und Archiven, internationalen Konferenzen und zahlreichen Gesprächen mit Politikern, Diplomaten und Wissenschaftskollegen. 

Pfennig räumt ein, in seinen behandelten Fällen stehe nicht fest, wie die Sache ausgehen werde. Mutige Prognosen können zu peinlichen Fehleinschätzungen werden. Die deutsche Situation hat jedenfalls Relevanz für andere betroffene Staaten. Nicht nur für die Frage eines Normalisierungsprozesses, sondern auch umgekehrt. Wenn beispielsweise Nordkorea aus der deutschen Einheit lernen möchte, welche existenziellen Fehler die DDR begangen habe und Pjöngjang daher vermeiden will.

Ewald König

Werner Pfennig, „Geteilte Nationen. Deutschland, China, Taiwan, Korea und Zypern im Vergleich“

Verlag De Gruyter Oldenburg, ISBN 978-3-11-143204-1

1. Auflage Juli 2024

642 S., Hardcover

59,95 €