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Geoökonomische Zeitenwende

Wie die Wiederwahl Trumps den Druck auf Deutschland erhöht, seine Rolle in der Welt neu zu definieren und warum die neue US-Regierung auch eine Chance sein kann. Eine kritische Analyse
Autor:
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December 3, 2024
November 14, 2024
Foto: Pixabay

Stefan Fröhlich, Erlangen-Nürnberg

Mit der Rückkehr Donald Trumps droht der zunehmend rauer gewordene geoökonomische Machtkampf zwischen den Großmächten USA, China und der EU um Technologieführerschaft, Rohstoffe, Wasser und Energie weiter zu eskalieren. Für Deutschland und Europa kann er zu einer existentiellen Bedrohung werden. Sollte China im schlimmsten Fall gar Taiwan angreifen, können Europa wie Deutschland ihre ambitionierten Pläne in Richtung Klimaneutralität aufgeben. Taiwan ist der größte Produzent von Halbleitern, die für die grüne und digitale Transformation unabdingbar sind. Zwar gehen bei uns dann nicht über Nacht die Lichter aus, wie manche Pessimisten meinen, aber in zentralen Sektoren werden Rohstoffe, Eisen und Stahl, sowie Laptops und Smartphones fehlen und man darf bezweifeln, dass in einem solchen Fall Sanktionen etwas bewirken, geschweige denn, ob man zu ihnen überhaupt fähig wäre.

Anders als Deutschland verfolgt die EU-Kommission unter von der Leyen bereits seit einigen Jahren eine aggressivere Außenwirtschaftspolitik, die auch Deutschland unter Druck setzt. Nachdem europäische wie deutsche Unternehmen jahrzehntelang Rekordumsätze auf dem chinesischen Markt erzielten, zuletzt aber aufgrund der chinesischen Abschottungspolitik Marktanteile verlieren, setzt man in Brüssel darauf, das Risiko einer zu großen Abhängigkeit zu mindern („de-risking“), ohne sich ganz von China abzukoppeln.

Deutschland folgt dieser Richtung nach wie vor nur zögerlich. Die vorherrschende Meinung unter Ökonomen wie Politikern im Lande ist nach wie vor, man könne sich eine solche Politik aufgrund der Abhängigkeiten des Landes vom Außenhandel insgesamt (60 % der Wertschöpfung hängt von der Nachfrage im Ausland ab) sowie der Auto-, Pharma- und Maschinenbau-Industrie speziell von China nicht leisten. Das mag vom Prinzip her durchaus stimmen, heißt aber nicht, dass es keinen Ausweg aus den Abhängigkeiten von China und anderen Systemveränderern gibt; auch im Fall von Russland hat sich dies bis vor einem Jahr kaum einer in diesem Land vorstellen können. Und schon gar nicht kann ein solches Totschlagsargument bedeuten, einfach weiterzumachen wie bisher und Außenwirtschaftspolitik vor allem unter kommerziellen Vorzeichen zu betreiben.

Mit der Rückkehr von Trump geraten Deutschland und Europa nunmehr auch von Washington her weiter unter Druck. Sollte er wie angekündigt Zölle in Höhe von 60% auf die chinesische Einfuhr und 20% auf den Import aus allen anderen Ländern erheben, bräche die deutsche Ausfuhr sowohl nach Amerika wie nach China merklich ein. Nicht nur würden deutsche Produkte im Vergleich zu amerikanischen teurer und damit weniger wettbewerbsfähig, gleichzeitig würde der Verkauf deutscher Vor- und Zwischenprodukte nach China aufgrund der geringeren Exporte von China in die USA zurückgehen. Das Ifo-Institut rechnet in diesem Fall mit einem Einbruch der deutschen Ausfuhr von 2%, während das Institut der deutschen Wirtschaft den Rückgang des BIP für 2028 auf 1.5% beziffert.    

Deutschland steht vor diesem Hintergrund vor drei großen Herausforderungen. Es muss erstens den mit Exporten und Direktinvestitionen verbundenen weiteren Transfer von technischem Wissen an einheimische Unternehmen in autokratischen Systemen verhindern, wo diese sich nicht an die Regeln des globalen Handelsregimes halten. Das liegt eigentlich auch im Unternehmensinteresse, sollte aber zumindest nicht noch durch Investitions- und Exportkreditgarantien für einzelne Unternehmen und ganze Branchen, Hermes-Bürgschaften für Auslandsprojekte oder gar die Rettung durch den Steuerzahler seitens der Politik erleichtert werden.

Zweitens müssen heimische Investitionen in Spitzentechnologien und kritische Infrastruktur erleichtert und gleichzeitig die Ansiedlung unliebsamer Investoren in Deutschland unterbunden werden, wo diese wie etwa im Fall des Vordringens von Huawei in die kritische Telefoninfrastruktur sicherheitspolitische Interessen des Landes tangiert. Man muss dabei nicht gleich im Detail der französischen Logik folgen, aber um eine aktivere Industriepolitik kommt auch Deutschland nicht herum. Es sei daran erinnert, dass auch die dominierende Volkswirtschaft der Welt, die USA, in der der Vergangenheit trotz anderslautender Rhetorik vom schlanken Staat immer klassische Industriepolitik betrieben haben, indem sie Forschungs- und Entwicklungsaufträge aus dem Pentagon heraus vergaben und bis in die 1960er Jahre hinein fast die komplette Mikrochipproduktion kauften, die später auch die Erfolgsgeschichte des Silicon Valley ermöglichte.

Und Deutschland muss drittens der großen Abhängigkeit von wichtigen Rohstoffen, die sich das Land, anders als andere Industrieländer, vor allem durch möglichst billige Käufe auf dem Weltmarkt, nicht aber durch eigene Direktinvestitionen im Rohstoffsektor gesichert hat, durch mehr Diversifizierung eigener vor- und nachgelagerter Wertschöpfungsketten und Konnektivität vorbeugen. Für alle diese Herausforderungen braucht es nicht nur eine Neudefinition der deutschen Rolle in der Welt, sondern vor allem Partner, in Europa wie außerhalb Europas.

Trump auch als Chance begreifen

Handlungsleitend müssen für Politik und Wirtschaft deshalb zwei Grundsätze sein:  Für die deutsche Sicherheit wie Wirtschaft ist der europäische Binnenmarkt der Hebel, um im geoökonomischen Machtkampf zwischen den USA und China zu bestehen. Deutschland ist für beide Großmächte ein wichtiger Handelspartner. Nur über Europa aber kann es sein Gewicht in die Waagschale werfen, solange vor allem China, gemessen an der Wertschöpfung, ähnlich abhängig von Europa ist wie andersherum.

Eine Fortsetzung der Äquidistanzpolitik gegenüber den USA und China kann sich Deutschland zudem genauso wenig leisten wie Europa die vorläufige Illusion einer strategischen Autonomie; andernfalls steht die europäische Sicherheit aus Sicht Washingtons auf dem Spiel. Deutschland muss differenzieren zwischen dem Subventionsweltmeister aus dem Osten, der offiziell zwar vorgibt, internationale Regeln und die Grundprinzipien des Völkerrechts einzuhalten, deren Geist aber ständig verletzt, auf der einen und dem wichtigsten Verbündeten auf der anderen Seite.

Amerika bleibt der wichtigste Handelspartner für Deutschland, zumal wenn die Anteile von Direktinvestitionen und Dienstleitungen zum reinen Güterhandel hinzugerechnet werden. Trotzige Rufe nach mehr strategischer Autonomie und möglichen EU-Zöllen von bis zu 50% als Gegenmaßnahme sind daher genauso wenig zielführend wie die Idee, man werde Trump schon irgendwie einfangen. Deutschland wie die EU müssen konkrete Angebote machen, um Trumps Obsession vom US-Handelsdefizit beizukommen. Die Optionen liegen dabei seit langem auf dem Tisch: der Kauf von mehr Flüssiggas und Agrarerzeugnissen gehören ebenso dazu wie die Bestellung von mehr Rüstungsgütern (weitere F-35 Kampfflugzeuge) oder die vom IWF angemahnte Öffnung des Dienstleistungssektors. Und vor allem Berlin muss Trump auch als Chance sehen: Erstens werden die von Trump angekündigten Steuersenkungen die US-Wirtschaft und damit die Nachfrage nach Produkten aus aller Welt beleben. Zweitens wird der damit verbundene globale Standortwettbewerb erhöht und der Druck auf die hiesige Wirtschaft wächst, durch eigene Deregulierungsmaßnahmen und Steuersenkungen die Abwanderung von Unternehmen in günstigere Produktionsstätten wie die USA und China zu verhindern.

Foto: Stefan Fröhlich

Der Autor ist Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Alexander-Friedrich-Universität in Erlangen-Nürnberg. Er lehrt unter anderem am Collège d’Europe in Brügge und hat zahlreiche Bücher verfasst, darunter in diesem Jahr "Märkte, Macht und Wandel”, Deutschlands geoökonomische Zeitenwende, Springer Fachmedien Verlag