Suchen

diplo.news

news & views

diplo.news

Drohende Blockaden

Taiwan erhofft sich Waffenlieferungen von einer neuen Bundesregierung - zur Verteidigung gegen ein immer aggressiveres China. Eindrücke von einer Reise in Taiwan
Autor:
/
December 3, 2024
November 28, 2024

Von Andreas Landwehr, Taipeh

Die Kriegsgefahr wächst, aber die Taiwaner wollen sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. „Ich lebe mein Leben wie immer“, sagt ein Spitzenmanager aus der Halbleiter-Industrie, blickt von seinem Fenster im 27. Stock des Bürohauses auf den Finanzdistrikt der Metropole Taipeh. Was er von Chinas Manövern und den Drohungen mit einem Einmarsch hält? „Mein Leben ändert sich dadurch nicht. Schau dir den Aktienmarkt an. Nichts hat sich geändert.“ Klar, es gebe hier und da Sorgen. „Aber die Menschen sind es gewohnt.“

Von der Börse in Taiwans berühmtesten Wolkenkratzer, dem „Taipei 101“, zum Präsidentenpalast sind es sechs Kilometer die Xinyi Road entlang nach Westen. In dem einstigen japanischen Kolonialbau residiert seit Mai der neue Präsident Lai Ching-te. Auch die Mitarbeiter in seinem direkten Umfeld sind die Drohungen der kommunistischen Führung in Peking gewohnt, sehen in den jüngsten Manövern und den Provokationen des chinesischen Militärs um Taiwan aber eine neue Qualität. „Sie üben in einem völlig neuen Stil“, sagt ein hoher Regierungsbeamter, der namentlich nicht genannt werden will.  

Mit der Gefahr einer Eskalation in der Meerenge der Taiwanstraße wächst in Taipeh die Hoffnung auf ein „Aufwachen“ der Bundesregierung im Umgang mit China. Mitarbeiter im Präsidentenpalast zeigen Unverständnis, dass Deutschland an einer Politik der Einbindung Chinas und an einer engen wirtschaftlichen Kooperation festhält. Peking bedrohe nicht nur Taiwan und die Sicherheit des für den Welthandel bedeutenden Schifffahrtsweges, sondern durch seine Unterstützung Russlands im Angriffskrieg gegen die Ukraine direkt auch europäische Sicherheitsinteressen,  betont der hohe Beamte. Die USA dagegen seien sich längst im Klaren darüber, dass China ein „strategischer Rivale“ sei.

Von einer künftigen, voraussichtlich CDU-geführten  Bundesregierung erhofft sich Taiwan auch Waffenlieferungen - defensive Systeme, um sich gegen eine mögliche Invasion der Volksrepublik wehren zu können. China betrachtet Taiwan als Teil seines Territoriums, obwohl die Inselrepublik nie zur Volksrepublik gehört hat und seit Jahrzehnten demokratisch regiert wird. Staats- und Parteichef Xi Jinping will eine „Wiedervereinigung“ notfalls auch militärisch durchsetzen. Er will diese Aufgabe nicht wie bisher „von Generation zu Generation“ weiterreichen. „Ich denke, dass Deutschland Pekings Ambitionen nicht ausreichend realisiert“, sagt Su Tzu-Yun, Direktor des Institute for National Defense and Security Research (IDNSR), eine Denkfabrik des taiwanischen Verteidigungsministeriums in Taipeh. Für Deutschland stehe weiter die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China im Mittelpunkt. Die Nato hingegen betrachte Peking längst als große Herausforderung für die europäische Sicherheit, sagt Direktor Su in seinem Büro auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums. Rechts und links neben seinem Sessel stehen griffbereit jeweils ein langer Säbel und ein Maschinengewehrmodell.  

Taiwan und Deutschland teilten ähnliche Sicherheitsinteressen, hebt der Experte hervor, der einst in Polen auch deutsche Militärgeschichte studiert hat. Taiwan setze auf westliche Unterstützung, sei aber „kein Trittbrettfahrer“, sondern kümmere sich um seine eigene Verteidigung. Es habe dabei insbesondere Hilfe der EU, Großbritanniens und eben Deutschlands im Blick. „Wir hoffen, dass Deutschland gewisse Verteidigungstechnologien mit uns teilen kann“, sagt der Direktor und verweist auf Luftabwehrsysteme.

Auf Druck Pekings und aus Rücksicht auf dessen “Ein-China-Doktrin“ pflegt Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan und unterhält nur eine inoffizielle Vertretung in Taipeh. Grundsätzlich sind die Beziehungen gut. Aber das Narrativ einer allzu entgegenkommenden China-Politik der jetzt auseinandergebrochenen Ampel-Koalition unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist in Taipeh häufiger zu hören. Es verbindet sich mit der Hoffnung auf einen Kurswechsel durch die nächste Regierung in Berlin. Ein erster Schritt wäre, das Verständnis zu stärken, dass China nicht Partner oder Wettbewerber, sondern vor allem „strategischer Rivale“ sei,  heißt es im Präsidentenpalast in Taipeh. Deutschland müsse aufmerksamer verfolgen, wie Peking deutsche Sicherheitsinteressen untergrabe. Verwiesen wird hier auch auf Cyber-Attacken, Spionage oder Desinformationskampagnen.

„Deutschland hat einen Fehler gemacht, indem es sich so stark auf die Versorgung aus Russland mit Energie und anderem gestützt hat“, sagt der hohe Regierungsbeamte mit Blick auf die Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine. Ähnlich stütze sich Deutschland heute stark auf die chinesische Wirtschaft. „Das ist wirklich eine schlechte Entscheidung.“ Früher habe Taiwan auch solche Fehler gemacht, dann aber korrigiert. Unter der china-freundlichen Regierung von Präsident Ma Ying-jeou (2008-2016) von der Kuomintang seien mehr als 80 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen Taiwans in die Volksrepublik geflossen – heute seien es es nur noch 11 Prozent, um sich nicht allzu abhängig zu machen. Taiwan investiere dafür mehr in anderen Ländern in Europa oder Südostasien. „Was Deutschland tut, ist das genaue Gegenteil“, sagt der Regierungsbeamte.

Das Interesse Taiwans an einem härteren Kurs Deutschlands gegenüber China ist mit den zunehmenden Militärübungen in der Taiwanstraße noch gestiegen. Aus taiwanischer Sicht wächst die Gefahr eines Krieges. Noch seien es Taktiken in einer „Grauzone“ unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges, was aber nicht minder gefährlich sei, weil China damit die Vorarbeit für einen Militäreinsatz leiste, warnen Experten. Peking untergrabe den Status Quo, der seit Jahrzehnten für Frieden und Stabilität gesorgt habe.

Das wahrscheinlichste Szenario: Quarantäne von Handelsschiffen

Die Haltung gegenüber Taiwan sei nur Teil einer größeren Strategie Pekings, die US-Streitkräfte zurückzudrängen und die Vorherrschaft im Indopazifik zu erreichen. „Es geht nicht um die sogenannte Wiedervereinigung oder um eine Unabhängigkeit Taiwans“, sagt Thinktank-Direktor Su. „Das ist nur ein Vorwand. Das eigentliche Problem ist, dass China versucht, sich zu einer maritimen Macht zu wandeln.“ Um freie Passage zum Pazifik zu haben, wolle China mehr  Kontrolle über die geostrategisch wichtige „erste Inselkette“. Dazu gehören die südlichen japanischen Inseln, Taiwan, die nördlichen Philippinen sowie die Spratly- und Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer. China sieht darin einen „Sicherheitsring“, der seine Ambitionen einschränkt, eine Seemacht zu werden.

Es geht um global wichtige Lieferketten. Ein größerer Konflikt um Taiwan hätte „katastrophale Auswirkungen auf den Welthandel“, warnt das Center for Strategic and International Studies (CSIS). Schätzungsweise 2,45 Billionen US-Dollar an Waren, ein Fünftel des globalen Seehandels gingen 2022 durch die Taiwanstraße, errechnete die Denkfabrik. Taiwan produziert 90 Prozent der fortschrittlichen Halbleiter, die für Smartphones, Datenzentren oder auch militärische Ausrüstung gebraucht werden. Eine Störung der Lieferketten für diese Technologien könne Billionen US-Dollar an Weltwirtschaftsleistung zunichte machen, heißt es in einer CSIS-Studie. Der Warenfluss könne schon durch eine „Quarantäne“ der chinesischen Küstenwache für Handelsschiffe auf dem Weg nach Taiwan gestört werden. Mit diesem Szenario ist ein Inspektionsregime durch Chinas Küstenwache gemeint, um Schiffe angeblich nach US-Waffen oder andere Güter zu durchsuchen – und damit den Hoheitsanspruch Chinas zu unterstreichen. Ein solches Vorgehen könnte die Versicherungskosten für die Schifffahrt hochtreiben und massiv wirtschaftlichen Druck auf Taiwan ausüben, sich doch auf Verhandlungen mit China über eine „Vereinigung“ einzulassen.

Eine weitergehende, vollständige Blockade der taiwanischen Häfen durch die chinesische Marine wird auch schon geübt und käme völkerrechtlich einem kriegerischen Akt gleich. Ein begrenztes und flexibles „Quarantäne“-Regime durch die chinesische Küstenwache gezielt gegen einzelne Schiffe würde dagegen rechtlich mit dem „Ein-China-Grundsatz“ begründet. Der Preis für Peking in Form von internationaler Kritik oder gar Sanktionen wäre damit nicht so hoch. Die Wahrscheinlichkeit eines „Quarantäne“-Szenarios „ist am höchsten“, warnt der Regierungsberater und frühere Vizeminister im Festlandrat für die Beziehungen zur Volksrepublik, Professor Chen Ming-chi von der taiwanischen National Tsinghua Universität. „Sie bereiten sich durch viele Manöver auf solche Quarantäne-Maßnahmen vor.“ Dass daran jetzt auch die – in China dem Militär unterstellte - Küstenwache teilnehme, ist aus seiner Sicht ein Hinweis für die „Quarantäne“-Option. Für Taiwan sei das „alarmierend“.  

Der Autor hat 30 Jahre lang das Büro der Deutschen Presse-Agentur in Peking geleitet. Zuvor war Andreas Landwehr, der von 1980 bis 1982 in Taipeh Chinesisch studiert hat, für die dpa in Washington DC tätig. Bis 2023 war er für das Asien-Pazifik-Regionalnetzes der dpa verantwortlich. Für seine journalistische Arbeit wurde Landwehr 2011 mit dem Liberty Award der Reemtsma Stiftung ausgezeichnet. Seit September 2024 ist der China-Experte als freier Autor in Berlin tätig.