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Die EU verliert den Balkan

Trotz aller Milliarden an Unterstützung nimmt der Einfluss des Westens in Südosteuropa ab - zugunsten des Kreml
January 20, 2025
January 20, 2025

Von Thomas Brey

Serbische Zeitungstitel:  "Baerbock verlangt, den Serben das Brandmal Genozid zu verpassen", "Die Nato zerstückelt die Ukraine in vier Teile und "Das ist der Hintergrund des Attentats: Schuss auf Trump wegen Putin"

Sarajevo, Belgrad, Skopje und Podgorica liegen von Deutschland nicht einmal zwei Flugstunden entfernt. Bosnien-Herzegowina, Serbien,  Nordmazedonien und Montenegro gelten eigentlich als „Hinterhof" von EU und NATO. Ausnahmslos alle ihre Nachbarn sind EU- und NATO-Mitglieder. Milliarden Euro wurden von den USA und der EU hier investiert. Ein Heer westlicher Diplomaten und Experten müht sich seit Jahrzehnten, diese Länder in atlantischen Strukturen zu verankern. So soll der Einfluss Russlands in dieser Region blockiert werden. Doch die Financiers dieser Länder haben inzwischen das Nachsehen.

Während Albanien und das Kosovo klar auf westlichem Kurs segeln, wenden sich die vier anderen Staaten immer stärker Russland zu. Zu besichtigen ist die paradoxe Situation, dass die Bürger bei allen Meinungsumfragen Russland und China als die größten Freunde und Wohltäter ihrer Länder bezeichnen. Doch zwei Drittel aller ausländischen Investitionen, 60 Prozent des Außenhandels und praktisch alle nicht rückzahlbaren Millionenhilfen stammen aus dem Westen. Die besonders zinsgünstigen Kredite sowieso. Niemand käme auf die Idee, in Russland oder China zu studieren, geschweige denn zu arbeiten. Massenhaft zieht es die Emigranten in die Schweiz, nach Großbritannien und vor allem nach Österreich und Deutschland. Und doch gelten Moskau und Peking als die engsten Verbündeten.

Propaganda schafft virtuelle Welt

Wie ist diese virtuelle Weltsicht zu erklären? Hier kommt das mächtigste Einflussinstrument des Kremls ins Spiel – die Propaganda. Bereits seit zehn Jahren arbeitet das Staatsmedium „Sputnik Serbien" mit einer großen Redaktion in Belgrad. Im November 2022 folgte RT (ehemals Russia Today). Seit letztem Dezember betreibt diese Kreml-Agentur auch einen TV-Kanal. Zur Erinnerung: Die EU hatte diesen Kreml-Ablegern schon im März 2022 untersagt, ihre Programme weiter zu verbreiten. Dagegen stellen alle drei russischen Staatsmedien dem EU-Beitrittskandidaten Serbien sowie seinen Nachbarländern umfangreiches Material in serbischer Sprache kostenlos zur Verfügung, das die russische Sicht der Welt mit all ihrer Propaganda, ihren Lügen und Verdrehungen präsentiert. Fast alle großen Medien in Serbien, Bosnien, Nordmazedonien und Montenegro übernehmen diese „Informationen" tagtäglich eins zu eins. Dazu kommen hunderte und aberhunderte Portale. Tagtäglich prasselt eine russische Informationsflut auf die Menschen in der Region, die am Ende selbst aberwitzigen und jeder Logik widersprechenden „Tatsachen" Glauben schenken.

Der Inhalt dieser Indoktrinierung ist immer gleich: Russland wird in den Himmel gehoben, der Westen regelrecht verteufelt. Russlands Wirtschaft prosperiere, die des Westens stehe vor dem Kollaps. In Europa und den USA verarmten breite Bevölkerungsschichten, die Gesellschaften seien tief gespalten in eine kleine Elite und die breite Masse der Unterdrückten. Trotz sozialer Not mache die Elite Milliarden Euro für die Ukraine locker, die auch mit westlichen Waffen niemals den Krieg gewinnen könne. Das Geld wäre besser angelegt, um die zu Hause Bedürftigen zu unterstützen. Die westlichen Gesellschaften seien durch die Auflösung des patriarchalisch-christlichen Familienmodells durch die LGBTQI-Bewegung bedroht. Die USA, die heute die EU in kolonialistischer Art und Weise ausbeuteten, würden als westliche Führungsmacht durch eine multipolare Welt unter Führung Russlands und Chinas abgelöst.

Superstar und Vorbild Putin

Russlands Präsident Wladimir Putin gilt in diesen Ländern als der Idealtypus eines Politikers im Sinne eines „Vaters der Nation". Das politische System in den EU-Staaten sei dem Untergang geweiht. Die bessere Alternative stellten die Regierungsformen Russlands und Chinas dar. Daher sei es richtig, dass sich die Nationen jeweils um einen starken Führer scharten, um die angeblichen nationalen Bedrohungen durch andere Völker abzuwehren. Diese Blaupausen wurden von Serbien übernommen, dem mit Abstand größten und wichtigsten Land des westlichen Balkans: Ein autokratisch regierender Präsident Aleksandar Vučić hat das Parlament, die Staats- und Kommunalverwaltungen, die Justiz und die Medien entmachtet und auf seine Person ausgerichtet. Die grassierende Korruption hat eine kleine Gruppe im Dunstkreis von Vučić teilweise märchenhaft reich gemacht.

Besonders Deutschland, der mit Abstand wichtigste Partner Serbiens und seiner Nachbarländer, ist Zielscheibe für russisch-serbische Demagogie. „Die deutsche Politik ist durch die gesamte Geschichte antiserbisch gewesen", behaupten die Spitzenpolitiker immer wieder. Deutsche politische Stiftungen betrieben den Sturz von Vučić. Schon beim Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates Jugoslawien in den 90er Jahren sei Berlin federführend gewesen. Die antiserbischen Ambitionen werden nach dieser Lesart von einer „Rache für die Niederlage im Ersten und Zweiten Weltkrieg" gespeist. Die Deutschen seien bis heute verdeckte Nazis. „Sie wollen uns Demokratie beibringen und sind selbst die Erben Hitlers", empören sich die zensierten Regierungsblätter auf den Titelseiten.

Orban als Dreh- und Angelpunkt des Autokratennetzes

Es sind nicht nur Serbien und die Serben in Bosnien-Herzegowina und in Montenegro, die fest im Griff russischer Propaganda sind. Inzwischen ist ein Netzwerk von Autokraten entstanden, das offen russische Positionen vertritt, um die eigene Macht zu festigen. Dreh- und Angelpunkt dieses Netzwerkes ist der ungarische Regierungschef Viktor Orban. Er hat im Inneren große Teile einer Opposition in Politik, Kultur und Medien ausgeschaltet. Außenpolitisch vertritt Orban die wichtigsten Kreml-Narrative, beschimpft die „EU-Bürokratie" als feindlich und sieht Ungarn als christliches Bollwerk gegen Migranten und libertäre westliche Gesellschaftsformen. Orbans Modell einer „illiberalen Demokratie" nimmt bewusst Anleihen an Putins „gelenkter Demokratie". Wirtschaftlich kooperiert Budapest mit Russland bei der Öl- und Gasversorgung ebenso wie beim Ausbau seiner Atomkraft.

Als gelehriger Schüler zeigt sich der slowakische Regierungschef Robert Fico, der die ungarische Blaupause zu Hause im Schnellverfahren durchgesetzt hat. Zurzeit wird in Österreich verhandelt, ob der Vorsitzende der rechtspopulistischen FPÖ, Herbert Kickl, Bundeskanzler werden kann. Die FPÖ will „den EU-Wahnsinn stoppen" und war zwischen 2016 und 2024 durch einen „Freundschaftsvertrag" der Putin-Partei „Einiges Russland" verbunden. Nächster Dominostein im Geflecht der Putin-Verehrer könnte Tschechien werden, wo der prorussische ehemalige Regierungschef Andrej Babiš die Parlamentswahlen im Herbst nach allen Prognosen klar gewinnen dürfte. Nicht ohne Grund waren Orban, Kickl und Babiš die Gründungsväter der „Patrioten für Europa", heute immerhin die drittstärkste Fraktion im europäischen Parlament.

Damit ist die Reihe der Länder, deren Orientierung nach Russland durch Kreml-Propaganda (mit)organisiert wurde, noch längst nicht zu Ende. In Rumänien wurde die Präsidentenwahl annulliert, nachdem der russophile Calin Georgescu durch eine von Russland massiv unterstützte Kampagne in sozialen Medien die Abstimmung völlig überraschend für sich entschieden hatte. Auch wenn sich eine knappe Mehrheit in Moldau für einen westlichen Kurs ihrer Heimat entschieden hat, sind Politik und Gesellschaft unter dem Dauerfeuer russischer Propaganda tief gespalten. Georgien hat sich nach massiver Einflussnahme des Kremls erst einmal von seinem EU-Kurs verabschiedet. In Frankreich sind 2027 Präsidentenwahlen, die von der russlandaffine Marine Le Pen gewonnen werden dürften. Vom Ausgang der Bundestagswahl mit den prorussischen Parteien AfD und BSW ganz zu schweigen. US-Präsident Joe Biden hat in seiner Abschiedsrede dramatisch vor dem toxischen Einfluss von Desinformation und Fake News gewarnt. Ungebremste Medienmacht in den Händen weniger Oligarchen könne die Demokratie dramatisch gefährden. Genau diese Strategie wird von Russlands Putin schon lange in Europa angewendet.

Russische Propaganda konterkarieren

Was könnte die EU tun, um die toxische russische Propaganda einzudämmen, die bis heute die Herzen der Menschen erobert hat? Ganz vorn stehen Reform und Entflechtung der Medienlandschaften, um sie dem Zugriff der politischen Eliten zu entziehen. Heute fungieren die Medien in fast allen Fällen als Propaganda-Megafone der Regierungen. Als Gegengewicht zu den Fake News zu Gunsten der Spitzenpolitik müssten ausländische Radioprogramme wie die Deutsche Welle oder Radio Free Europe ausgeweitet werden. Vor allem sollte die Medienkompetenz junger Menschen gestärkt werden, die schon in der Schule indoktriniert werden. Sie müssten plumpe Propaganda von „echten" Nachrichten unterscheiden lernen. Daneben ist das Coaching von Nachwuchsjournalisten ein Gebot der Stunde. Schließlich müsste die tagtägliche Propaganda mit journalistischen Standards identifiziert und korrigiert werden. Denn wenn der Westen die Dinge so laufen lässt wie bisher, gibt es keinerlei Chance, die Bürger des westlichen Balkans von Demokratie, Reform, Marktwirtschaft und pluralistischen Lebensformen zu überzeugen. Da nützen auch Milliarden Euro und ein Heer an Diplomaten und Experten nichts. Noch gibt es ein Zeitfenster dafür.

Der Autor arbeitete über drei Jahrzehnte als Südosteuropa-Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur. Nach seinem Ausscheiden Universitätsdozent und Nachwuchscoach für Journalisten aus Südosteuropa, für die er zwei Lehrbücher verfasst hat. Die gesamte Studie zur russischen Propaganda können Sie auf der Webseite der Friedrich Naumann-Stiftung nachlesen: https://shop.freiheit.org/#!/Publikation/1854