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Die EU darf sich um ihre Erweiterung nicht drücken!

Dietrich von Kyaw bemängelt die Glaubwürdigkeit der Beitrittsprozesse
Autor:
Dr. Dietrich von Kyaw
/
December 4, 2024
July 10, 2024
Flaggen in Wartestellung (v.l.n.r.): Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nord-Mazedonien und Serbien (Foto: Archiv)

Die EU ist heute in zahlreichen ihrer Mitgliedstaaten von rückwärtsgewandten anti-europäischen Strömungen des Nationalismus bedroht. Die Auseinandersetzung mit dieser Strömung absorbiert nicht nur in Frankreich die Kräfte und verstärkt die Gefahr von Blockaden und Stagnationen in der Europapolitik. Zu den Opfern gehört der Auftrag der EU, im eigenen geoökonomischen Interesse wie in der geostrategischen Auseinandersetzung mit Russland und China unseren Kontinent durch Beitritte der Staaten des Westlichen Balkans, mittelfristig auch der Ukraine, Moldawiens und vielleicht Georgiens weiter zu stabilisieren.

Bereits 2003 (!) wurde auf der Regierungskonferenz in Saloniki den Westbalkanstaaten der Vollbeitritt zugesagt. Seitdem wird „verhandelt“, alles eine destabilisierende Verzögerungspolitik, die keinesfalls nur an unzureichenden Reformen der Anwärter oder anhaltenden ernsten Konflikten liegt. 

Auch die EU ist zu entsprechenden eigenen Reformen wie etwa zu einer weiteren Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei ihren Entscheidungen nicht in der Lage. Deutschland wäre dazu wohl bereit, während zahlreiche Partner und insbesondere Frankreich einer weiteren Vergrößerung auch noch grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Dabei spielt wohl auch eine Rolle, dass die Kandidaten wirtschaftlich stark mit Deutschland verbunden sind.

Auch wegen Russland und China geht es jetzt darum, die Beitrittsprozesse mit mehr Glaubwürdigkeit auszustatten. Die stufenweise Heranführung der Kandidaten an den Binnenmarkt ist mit spürbaren Anreizen für in der Regel schmerzhafte Reformschritte auszugestalten. 

Die negativen Entwicklungen in Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nord-Mazedonien und Montenegro, ausgelöst durch gezielte Instrumentalisierung historischer Konflikte, sind deutliche Warnzeichen! 

Zugleich hat die EU ihre eigene Handlungsfähigkeit zu stärken. Das dürfte kaum durch eine riskante große Reformkonferenz mit höchst fraglichen Ratifizierungschancen, sondern eher über eine schrittweise Verringerung von Vetorechten im Zusammenhang mit ersten Neubeitritten möglich sein.

Während Georgien sich durch seine jüngste Gesetzgebung gegen ausländische NGOs zunächst selbst seiner Chancen beraubt hat, dürfte es bei der Türkei auf vor allem um eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Zollunion mit der EU gehen. Das liegt im beiderseitigen Interesse. Moldawien braucht noch Zeit und mehr Unterstützung, ähnlich die Ukraine. Die durch letztere zu lösenden großen Problemfelder Landwirtschaft und Freizügigkeit werden zu gegebener Zeit über längere und abgestufte Übergangsfristen zu entschärfen sein. 

Dr. Dietrich von Kyaw, Botschafter a.D., eh. Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Brüssel, Buchautor, zuletzt: „Deutschland und die Selbstbehauptung Europas – Herausforderung an den demokratischen Westen“ (LIT Verlag)

(Foto: diplo.news)