von Gudrun Dometeit
Manchmal kann einem in diesen Tagen schwindlig werden. Angesichts der Zahlen, die da mal eben in die Runde geworfen werden, als ginge es um Fünf-Euro-Jetons beim Roulette. 150, 500, 800 Milliarden Euro ... wer bietet mehr? Es sind Beträge, die alle überwiegend um das Thema Verteidigung kreisen, in Europa, in Deutschland - Geld, das in die Ertüchtigung von Armeen, in Produktion und Kauf von Waffen fließen soll. EU-Kommissionspräsidentin und Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will Europa wiederaufrüsten, sagt sie. Nach dem green und dem clean deal folgt jetzt wohl der martial deal.
Dabei ist die Wiederaufrüstung laut den jüngsten Daten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) längst im Gange: Zwischen 2020 und 2024 nahmen die europäischen Waffenimporte um 155 Prozent zu. Und zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten ging der größte Teil der US-Waffenexporte in diesem Zeitraum nicht in den Nahen Osten sondern nach Europa. Manche würden sogar gerne eigene Atomwaffen auf deutschem Boden sehen, der voraussichtlich nächste Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erwägt zumindest eine nukleare Teilhabe an französischen Atomwaffen.
Jüngst warnten Experten vor einer "ernsten Kriegsgefahr" im Herbst durch das russisch-belarussische Manöver "Sapad", das auf dem Territorium von Belarus stattfindet. Nach ähnlichen Übungen 2021 sei Russland schließlich in die Ukraine einmarschiert. Und der Militärhistoriker Sönke Neitzel teilte im Fernsehen die Befürchtung litauischer Kollegen mit, Moskau könne das Manöver und die damit verbundenen Vorbereitungen für einen Angriff auf ihr Land nutzen. Würde Russland den sogenannten Suwalki-Korridor zwischen Litauen und Kaliningrad erobern, könnte die Nato Litauen nur noch über die Ostsee versorgen. "Vielleicht ist dieser Sommer der letzte Sommer, den wir noch im Frieden erleben" orakelte Neitzel.
Geht's noch?
Ich bin kein Friedenstäubchen und auch nicht naiv. Natürlich haben alle Armeen Europas einige Energiebooster nötig. Und natürlich braucht die Ukraine weiterhin Unterstützung. Aber mich entsetzt immer mehr, dass es in der Diskussion über die Sicherheit Europas immer noch fast ausschließlich um Aufrüstung und Konfrontation geht. Dass kein Szenario zu düster ist, um nicht beschworen zu werden. Dass selbst Wissenschaft in der Logik des Militärischen steckenbleibt. Arbeitet niemand hierzulande am Frieden?
Wo bleibt bei all dem der Aufschrei der Friedensbewegung? Gibt es die überhaupt noch? Oder sind ihr vor Schreck vor der unabänderlichen Apokalypse die Worte vergangen? Ein paar unverdrossene, meist ältere, Friedensbewegte protestieren noch regelmäßig auf dem Fliegerhorst in Büchel gegen dort stationierte US-Atomwaffen. In den achtzigern gingen Millionen - mit der Grünen-Mitbegründerin Petra Kelly und Bundeswehrgeneral Gert Bastian an der Spitze - gegen die Stationierung von atomaren US-Mittelstreckenraketen auf die Straße. Die letzte grüne Pazifistin war womöglich die 2023 verstorbene Theologin Antje Vollmer.
Frieden schaffen ohne Waffen? Das ist nicht nur out. Wer das sagt, landet bestenfalls in der Ecke der Träumer, Putinversteher oder Verschwörer, schlimmstenfalls in der Ecke von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht. Beiden Parteien hat nicht nur die Friedensbewegung - oder was davon übrig ist - sondern auch die sogenannte politische Mitte ohne Not Proteste und die Entwicklung von Alternativen gegen den Ukrainekrieg überlassen.
Da wirken Aussagen wie die von US-Außenminister Marco Rubio, der soeben mit der Ukraine einen Waffenstillstand ausgehandelt hat, geradezu als Lichtblick. Diplomatie sei die einzige Lösung für diesen Krieg. Beide Seiten müssten sich darüber im klaren sein, dass es keine militärische Lösung gebe, sagte er. Russland könne nicht die gesamte Ukraine erobern, und offensichtlich werde es für die Ukraine sehr schwierig, Russland in einem angemessenen Zeitraum wieder dorthin zurückzudrängen, wo es 2014 gewesen sei.
Vielleicht muss man einfach über Erpressungen und brachiale Verhandlungsmethoden von Donald Trump hinwegsehen - wenn sie wenigstens helfen, das Blutvergießen zu stoppen.