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Chancenkontinent? Nur sehr bedingt!

Die Bedingungen für deutsche Investitionen in Afrika sind deutlich schwieriger geworden. Ein Hintergrundpapier zum deutsch-afrikanischen Wirtschaftsgipfel in Kenia
Autor:
Prof. Stefan Liebing, Prof Thomas Schmidt
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December 4, 2024
December 4, 2024
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck mit Teilnehmern des Wirtschaftsgipfels in Kenia (GrFoto: @BMWK, x.com

Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck hat afrikanische Staaten zu mehr Zusammenarbeit ermuntert und vor allem für mehr gemeinsame Energieprojekte geworben. Der grüne Wirtschaftsminister nahm am fünften deutsch-afrikanischen Wirtschaftsgipfel in Kenia teil. Konkrete Vereinbarungen gab es aber nicht. "Es wird leider nicht ausreichen, immer wieder an die deutsche Wirtschaft zu appellieren und auf "das große Potential" Afrikas hinzuweisen", sagt der Unternehmer und Afrikakenner Stefan Liebing. Er schlägt - gemeinsam mit dem Wirtschaftsinformatiker Thomas Schmidt - vor, was sich an der deutschen Wirtschaftspolitik ändern müsste, um Investitionen in Afrika zu befördern und China dort Paroli bieten zu können.

Rund die Hälfte des deutschen BIP wird durch Export erwirtschaftet. In einer Zeit wachsender globaler Konflikte und schwächelnder Konjunktur muss Deutschland sich nach neuen Absatzmärkten und Partnerschaften umsehen, aber auch nach Lieferanten grüner Energie und wichtiger Rohstoffe. Das erfordert jedoch eine genauere Analyse der Verhältnisse vor Ort und eine Adaptierung der bislang verwendeten Ansätze, Geschäftsmodelle und Narrative. Das nachfolgende Kurzpapier soll einige Aspekte hierzu anreißen und Lösungsansätze aufzeigen.

1. Die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen

Die Volkswirtschaften auf dem afrikanischen Kontinent wurden seit 2020 von mehreren Krisen hart getroffen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen politischer Entscheidungen als Reaktion auf die Corona-Pandemie waren noch nicht vollständig überwunden, als mit der daraus erwachsenden Inflation vor allem die ärmere Bevölkerung zusätzlich belastet wurde. Die Knappheit bestimmter Lebensmittel an den Weltmärkten nicht zuletzt alsFolge des russischen Angriffs auf die Ukraine und teilweise auch negative Wetterereignisse als Auswirkung des Klimawandels haben hunderte Millionen Menschen beeinträchtigt.

Dies hat dazu geführt, dass vor allem Staatsfinanzen in den meisten Ländern Afrikas instabiler wurden. Verschuldungsraten der staatlichen Haushalte sind stark gestiegen. Der erschwerte Zugang zu weiteren Krediten und verschlechterte Ratings haben gemeinsam mit der starken Inflation zu sehr hohen Zentralbankzinssätzen geführt. Regierungen mussten Subventionen streichen und ihre Haushalte sanieren.

Die Verbindung einer generell verschlechterten Lage für die Menschen mit der geschwächten Leistungsfähigkeit vieler Regierungen hat zu hoher Unzufriedenheit geführt, die in den vergangenen Jahren eine Reihe von Umstürzen ausgelöst haben. Auch wenn die individuellen Auslöser höchst unterschiedlich sind, so ist doch die schwierige wirtschaftliche Lage allen Ländern gemeinsam. Erzwungene Regierungswechsel gab es u.a. in Gabon, Guinea, Mali, Burkina Faso, Niger. Im Sudan herrscht ein grausamer Bürgerkrieg. In Ländern wie Kenia und Nigeria ist die junge Bevölkerung unzufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung und demonstriert. Ghana hat eben erst einen Staatsbankrott abgewendet durch einen der größten Schuldenerlasse der Geschichte.

Ambivalent stellt sich das Bild bei einem Blick auf die Entwicklung des GDP per Capita dar. Nur einigen wenigen Staaten ist es gelungen, seit der Corona-Krise moderate Steigerungen zu erzielen. Die großen Wirtschaftsnationen Südafrika, Angola und Nigeria mussten einen Rückgang verzeichnen, während Sambia, Kamerun und Tansania stagnierend etwa auf Vorkrisenniveau liegen. Länder wie Ruanda, Kenia, Ghana, DR Kongo oder die Elfenbeinküste konnten jedoch auch moderate Steigerungen erreichen. Gemeinsam ist allen Ländern jedoch, dass die Steigerungen zu gering ausfallen, um eine spürbare Verbesserung des Wohlstandsniveaus in der Bevölkerung zu bewirken. So ist bei einem gemischten Bild zum GDP pro Kopf festzuhalten, dass insgesamt durch die Mischung aus starker Inflation und Staatsverschuldung und weitgehend stagnierender wirtschaftlicher Wertschöpfung von einer spürbaren Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Menschen auf dem Kontinent keine Rede sein kann.

Anders stellt sich die Situation im Hinblick auf die bilateralen Handelsvolumen dar. Der kumulierte Im- und Export hat sich erholt und liegt nun auf Rekordniveau. Gestiegen sind vor allem deutsche Exporte nach Afrika, und hier wurde die Steigerung fast vollständig durch inflationsbedingt gestiegene Preise für die Hauptausfuhrprodukte Maschinen, Anlagen, Fahrzeuge, Chemieprodukte ausgelöst. Importe Deutschlands aus Afrika sind dagegen im Jahr 2023 um knapp 5 Prozent gesunken, was vor allem an gefallenen Preisen für Rohstoffe liegt. Unabhängig davon liegt das gesamte Handelsvolumen mit Afrika niedriger als der Wert der Handelsbeziehungen, die Deutschland mit Ungarn unterhält.

Vorgeschlagene Maßnahmen:

  • Gestiegene Länder- und Finanzierungsrisiken in Afrika werden (unter der Voraussetzung gleichbleibender Ertragschancen) für einen Rückgang deutscherInvestitionen sorgen (inflationsbereinigte Werte). Sofern es entwicklungspolitisch gewünscht ist, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, wird es notwendig sein, dass die Bundesregierung einen Teil dieser Risiken abfedert, etwa durch Absicherung von Währungs- und Wechselkursrisiken oder durch weiterverbesserte Konditionen für Bürgschaften und Garantien.
  • Hoch verschuldete Staaten benötigen Unterstützung dabei, Wirtschaftswachstum zu generieren und ihre Einnahmen zu erhöhen. Diese Unterstützung kann wirksam in Form von ausländischen Investitionen geschehen, die Arbeitsplätze schaffen und die es ermöglichen, Steuereinnahmen zu erhöhen. Schuldenerlasse sind kritisch zu sehen, weil sie Staaten belohnen, die in der Krise schlecht gewirtschaftet haben.

2. Funktionierende Geschäftsmodelle unter neuen Voraussetzungen

Unter erschwerten konjunkturellen und fiskalischen Rahmenbedingungen verengen sich die Möglichkeiten für geschäftliches Engagement in Afrika derzeit. Insbesondere erschwert die aktuelle Lage die Realisierung von Infrastrukturprojekten unter Beteiligung von afrikanischen Regierungen. Gerade auf diesem Gebiet waren deutsche Unternehmen bislang stark engagiert. Projekte auf den Gebieten erneuerbare Energie, Logistik (Häfen, Flughäfen, Mautstraßen, Schnellbussysteme), Stromnetze, Tanklager etc. sind wegen der stark gesunkenen Finanzierungsspielräume von Regierungen und Staatsunternehmen aktuell kaum realisierbar. Investitionen in rein private Unternehmungen etwa auf den Gebieten Landwirtschaft oder Industrie, die u.U. nicht auf Projektfinanzierungsstrukturen angewiesen sind, waren schon bisher eher rar. Das hat weniger mit fehlenden Möglichkeiten in Afrika zu tun als mit den Branchenschwerpunkten der deutschen Wirtschaft und ihrer mittelständischen Struktur. Einigermaßen aussichtsreich sind aktuell vor allem Investitionen in folgenden Bereichen:

Privatsektor:

  •  „Light Manufacturing“: Arbeitsintensive, oftmals gering automatisierbare einfachere Produktionsprozesse. Hier ist derzeit vor allem in Nordafrika zu beobachten, dass Unternehmen der Automobilzulieferbranche oder aus dem Maschinen- und Anlagenbau verstärkt tätig werden. Die vergleichsweise gute Infrastruktur und recht gut ausgebildete günstige Arbeitskräfte ermöglichen es Unternehmen, insbesondere ihre Abhängigkeit von Produktionsstandorten in China zu reduzieren und in Nordafrika parallel Wertschöpfungsketten aufzubauen.
  •  IT-Outsourcing: Eine ganze Reihe afrikanischer Länder bieten lebhafte Startup-Zentren im IT-Bereich. Eine Reihe von Migrationsabkommen mit der Bundesregierung zielen derzeit darauf, qualifiziertes Personal aus Kenia oder Ghana nach Deutschland abzuwerben. Sinnvoller wäre wahrscheinlich, mittelfristig eine Outsourcing-Industrie in diesen Ländern aufzubauen. Deutsche Unternehmen gründen Tochtergesellschaften in Afrika und vergeben Teile ihrer IT-Arbeiten oder Servicezentren an diese.

Öffentlicher Sektor:

  • Wasserstoff: Eine der großen Ausnahmen in der Zusammenarbeit deutscher Investoren mit dem öffentlichen Sektor Afrikas bilden Investitionen in Energie- und Rohstoffprojekte, für die es kreditwürdige internationale Abnehmer gibt, die auf langfristiger Basis die erzeugten Produkte abnehmen. Dies ermöglicht in der Regel die Finanzierung durch europäische Banken. Und während derzeit auf dem Kontinent kaum deutsche Unternehmen ernsthaft Solar- und Windprojekte zur lokalen Versorgung verfolgen, weil die Finanzierung in der Regel nichtsichergestellt ist, bestehen eine Reihe großer Vorhaben auf dem Gebiet der Wasserstofferzeugung mit deutscher Beteiligung, u.a. in Ägypten, Marokko, Mauretanien, Angola, Namibia und Südafrika. Schwierig ist hier derzeit vor allem die vorsichtige Haltung potentieller Abnehmer des Produkts in Deutschland. Das Modell öffentlich unterstützter Abnahmeverträge von H2 Global ist zu begrüßen, allerdings handelt es sich dabei in Art und Umfang eher um ein Pilotprojekt.
  • Rohstoffe: Unstrittig ist der große Bedarf der deutschen Wirtschaft an dauerhaften Belieferungen mit kritischen Rohstoffen und die Rolle, die Afrika (theoretisch) spielen könnte. In der Regel kommen die Mengen, die in Afrika gefördert werden, aber langfristig den Bergbauunternehmen zugute, die direkt in der Förderung vor Ort tätig sind und die diese an den Börsen verkaufen. Langfristige Versorgungssicherheit entsteht so nicht. Dazu wäre es notwendig, dass deutsche Unternehmen selbst in die Förderung von Rohstoffen in Afrika investieren. Solche Unternehmen existieren aber in Deutschland weitgehend nicht. Daher ist zu überlegen, ob sich die Nachfrager nach solchen Rohstoffen zusammenschließen und eine entsprechende Bergbaugesellschaft gründen oder ob das ggf. auch eine Aufgabe für ein Engagement der Bundesregierung wäre. Im Hinblick auf Versorgungssicherheit herrscht Marktversagen, was einen staatlichen Eingriff rechtfertigt. Der vom BMWK geplante Rohstofffonds ist ein erster Schritt, der jedoch an der bürokratischen Ausgestaltung krankt.

Vorgeschlagene Maßnahmen:

  •  Instrumente zur Förderung von Wasserstoff- und Rohstoffprojekten in Afrika müssen entbürokratisiert und vereinfacht werden. Während die Grundidee richtig ist, sind diese oftmals in der Praxis nur schwer durch die Unternehmen nutzbar.
  • Die Vorbehalte bei vielen Unternehmen in Deutschland zur Zusammenarbeit mit Afrika müssen ausgeräumt werden. Aktivitäten von Unternehmen in Entwicklungsländern müssen unterstützt und Hemmnisse reduziert werden, damit sich deutsche Unternehmen nicht aus den entsprechenden Märkten zurückziehen und andere ihren Platz einnehmen, denen die Beachtung menschenrechtlicher Standards oft weniger wichtig ist. Alternativ zu bürokratisch aufwendiger und eher wenig wirksamer Lieferkettenregulierung könnten Ansätze zur Veröffentlichung von „black lists“ oder von öffentlichen Stellen finanzierte Audits bei afrikanischen Unternehmen ähnlich wirken, aber die Risiken für deutsche Untenrehmen deutlich mindern.

3. Projektentwicklung statt Entwicklungsprojekte – für einen neuen politischen Ansatz

Die oben beschriebenen Entwicklungen zeigen, dass Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und damit Entwicklung des afrikanischen Kontinents nicht mit den bisherigen Instrumenten traditioneller Entwicklungshilfe zu erreichen ist. Unter neuen Rahmenbedingungen und in einem schwierigeren Umfeld als zuvor ist es vor allem notwendig, die Finanzierung privater Investitionen zu ermöglichen. Wo ein Projekt im entwicklungspolitischen Interesse liegt, scheint es notwendig, dass die öffentliche Hand bestimmte Risiken abfedert, die andernfalls verhindern würden, dass eine Finanzierung auf privater Ebene überhaupt zustande kommen kann. Das bedeutet, dass die öffentliche Hand statt der Umsetzung traditioneller – und oftmals weitgehend wirkungsloser – Entwicklungsprojekte die Realisierung von Projektentwicklungen ermöglichen sollte. Dazu gehört neben der stark zu intensivierenden politischen Begleitung von konkreten Projektentwicklungsvorhaben auch die Bereitstellung von Mitteln zur Projektentwicklung, die Reduktion bürokratischer Hindernisse wie etwa des Lieferkettengesetzes, die Unterstützung bei der Finanzierung und die aktive Werbung für eine Diversifizierung Richtung neuer Märkte in Afrika.

Fazit:

  • Auch in Afrika werden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schwieriger. Die Erzählung vom „Chancenkontinent“ muss eingeschränkt werden. Chancenbestehen weiterhin, aber nur noch in ausgewählten Ländern, Sektoren und Geschäftsmodellen.
  • Das Hauptproblem ist, unter erhöhten Risiken die Finanzierung zu ermöglichen. Eine entwicklungspolitische gewünschte Stärkung des Wirtschaftswachstums in Afrika wird nur möglich sein, wenn die Bundesregierung einen Teil der erhöhten Risiken abfedert. Insoweit muss die Bundesregierung ihren entwicklungspolitischen Ansatz grundlegend neu ausrichten. Statt mehr Entwicklungsprojekten benötigt es stärkere Unterstützung bei der Projektentwicklung!
  • Konferenzen und Delegationsreisen sorgen möglicherweise für Zeitungsschlagzeilen, aber nicht für konkrete zusätzliche Investitionserfolgsgeschichten. Die deutsche Außenwirtschaftsförderung muss neu gedacht werden und muss sich auf Leuchtturmprojekte konzentrieren, die konkrete Unterstützung erfahren und so als Erfolgsgeschichten dienen können, die auch andere Unternehmer von einem Engagement überzeugen.

Prof. Dr. Stefan Liebing ist Geschäftsführer der Conjuncta GmbH und als Honorarprofessor am Centre for Business and Technology in Africa der Hochschule Flensburg tätig. Er war von 2011 bis 2023 Vorsitzender des Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft e.V. und 2014/2015 auch Chairman des European Business Council on Africa and the Mediterranean (EBCAM). Im Sommersemester 2025 wird Liebing die Hiob-Ludolf-Gastprofessur an der Universität Hamburg übernehmen. Er ist ehrenamtlich engagiert als Beiratsvorsitzender der ReThinking Africa Foundation und als Honorarkonsul der Republik Kamerun in Hamburg.

Prof. Dr. Thomas Schmidt ist Co-Direktor des Centre for Business and Technology in Africa und Professor in Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Flensburg mit Schwerpunkt betriebliche Anwendungssysteme. Er berät Unternehmen zu Strategie- und Umsetzungsprojekten in Informationstechnologie und Logistik. Schmidt hat langjährige Erfahrung in Afrika mit Projekten zu Universitätspartnerschaften mit Technologietransfer in Logistik und Informationstechnologie. Zusätzlich zu seiner afrikanischen Expertise lehrte und forschte er als Gastprofessor in den USA, Schweden, Finnland, Frankreich und China.