Von Ewald König
In Zeiten wie diesen ist Routinemäßiges etwas Angenehmes. Ein diplomatisches Ritual, das vertraut, ja beruhigend klingt.
Denn alles, was wir in jüngster Zeit erlebt haben, hat jede Routine gesprengt: Disruption statt Ritual.
Im Griechisch-Unterricht lernte ich: Panta rhei. Falls Sie da in der Schule gerade gefehlt haben: Alles fließt. Vor ungefähr 2.500 Jahren hat der Philosoph Heraklit diese Weisheit formuliert.
Nichts ist eindeutig, nichts stabil, nichts statisch (abgesehen vom Chaos in Berlin, aber das kannte er ja damals noch nicht). Alles fließt im ewigen Wandel. Nichts lässt sich festhalten.
Bisher galt: Wir sind dem Wandel und der Dynamik nicht schutzlos ausgeliefert; wir sollten den Wandel als Chance begreifen und für neue Perspektiven nutzen. Das gilt jetzt nicht mehr, seit US-Präsident Donald Trump den ganzen Globus und die Medien dominiert und täglich für Überraschungen oder Entsetzen sorgt. Wir erlebten die bisher undiplomatischste diplomatische Veranstaltung namens Münchner Sicherheitskonferenz, wir begingen den dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine, wir sehen mit Schrecken, was im Nahen Osten vor sich geht, wir erleben eine mühsame Aufarbeitung des Wahlsonntags mit Rekordwerten für die AfD.
So viel Wandel flößt Furcht ein. Alles fließt, alles strömt und reißt Liebgewonnenes, freilich auch Überflüssiges mit sich. Rituale und Routine, früher wenig geschätzt, erscheinen plötzlich wohltuend und wertvoll. Wie Haltegriffe im reißenden Fluss. Das Ritual mit den neuen Botschaftern im Schloss Bellevue gehört dazu. Jeder neue Botschafter steht für einen Neuanfang in der Pflege der bilateralen Beziehungen, für eine neue Ära, für neue Erkenntnisse, für neuen politischen und kulturellen Austausch.
Dass alles fließt, wissen wir also seit Heraklit. Und natürlich ist auch vor Herrn Heraklit schon alles geflossen. Aber was wir nicht wissen: Wohin fließt alles? Welchen Weg sucht sich der Strom? Wie können wir eingreifen und den Strom kanalisieren? Auch die neu akkreditierten Missionschefs haben die Aufgabe und die Möglichkeit, daran mitzuarbeiten – wenn auch nur kurze Zeit, vielleicht drei, vier Jahre, bevor sie Deutschland wieder verlassen und weiterziehen. Denn auch in der Diplomatie fließt alles. Es kommt auf den richtigen Moment an, etwas daraus zu machen. Nur beim Empfang des Bundespräsidenten zur Akkreditierung der neuen Botschafter steht die Zeit ein bisschen still. Danach gilt wieder Herakles.