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"Afrika wartet nicht auf uns"

Die Chefin der Deutschen Afrika Stiftung, Uschi Eid, plädiert für eine Neuorientierung der Afrikapolitik und fordert die Berufung eines Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika
March 20, 2025
March 20, 2025

von Uschi Eid, Berlin

Jeder dritte neue Erdenbürger wird in Afrika geboren (Foto: Pexels/Lagos Food Bank Initiative)

Auf die neue Bundesregierung wartet eine Fülle von außenpolitischen Herausforderungen: die wachsenden Spannungen im transatlantischen Bündnis und die globalen Machtverschiebungen, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, die bedrohliche Erderwärmung und das Schwinden der Artenvielfalt, die wachsende Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Alterung in Europa, die Herausforderungen von Digitalisierung, Cyberwar und dem richtigen Umgang mit Künstlicher Intelligenz, insbesondere aber die Systemkonkurrenz zwischen der liberalen Welt und einem autoritären Gegenmodell.

Für diese Herausforderungen wird Europa nicht alleine Lösungen finden können, sondern ist dabei auf Partner angewiesen. Und Afrika als unser nächster Nachbar ist ein natürlicher Partner. Denn ob die genannten Herausforderungen beherrschbar bleiben und gemeinsame Lösungen für die Krisen der Gegenwart gefunden werden, hängt maßgeblich auch von den dortigen Entwicklungen ab. Afrikas globales Gewicht wird weiterwachsen: demographisch, geopolitisch, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, klimapolitisch, kulturell. Bis Mitte dieses Jahrhunderts dürfte der Kontinent rund zweieinhalb Milliarden Einwohner und damit ein Viertel der Weltbevölkerung zählen. Während Europa ergraut, wird jedes dritte neu auf die Welt kommende Kind in Afrika geboren werden. Noch ist offen, ob diese größte Jugendgeneration aller Zeiten Arbeit und Lebensperspektiven findet und Afrika zu einem neuen Wachstumspol der Weltwirtschaft entwickeln wird. Wie klimaverträglich sich Afrika industrialisiert, wird Einfluss haben auf die Erreichung internationaler Klimaziele. Und die Frage, welche politischen Allianzen die 54 afrikanischen VN-Mitgliedsstaaten eingehen, dürfte auch die Zukunft der liberalen Weltordnung beeinflussen. Afrika wird das 21. Jahrhundert prägen – so oder so.

Wird das in der deutschen Politik ausreichend erkannt? Zwar ist die Aufmerksamkeit für Afrika in den vergangenen Jahren gestiegen. So hat das Auswärtige Amt erst vor Kurzem afrikapolitische Leitlinien herausgegeben, die den Rahmen für ein kohärentes afrikapolitisches Handeln der Bundesregierung vorgeben wollen, welches erstmalig mit konkreten Interessen begründet ist – ein lange überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Auch haben neue Beratungsnetzwerke für investitionswillige Unternehmen den Fokus auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit gelenkt. Doch in politischen Debatten läuft Afrikapolitik weiterhin – ob explizit oder implizit - oft unter der Überschrift „Fluchtursachenbekämpfung“.Und viel zu oft noch wird in solchen Diskussionen über Afrika im Tonfall wohlwollender Fürsorge gesprochen anstatt mit Afrika als strategischem Partner für das Anpacken gemeinsamer Herausforderungen.

In vielen Gesprächen mit afrikanischen Partnern wurde der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit deutlich. Aber ebenso klar wurde: Ein „weiter so wie bisher“ reicht nicht aus.

Statt immer neuer Strategiepapiere mehr Wertschöpfung vor Ort schaffen

Die nächste Bundesregierung sollte Afrika gegenüber eine Haltung einnehmen, die diesen Kontinent als eigenständiges politisches Subjekt versteht; als strategischen Partner mit eigener Verantwortung, mit eigenem Handlungswillen und eigenen Handlungsoptionen. Mit ihrer „Agenda 2063“ hat die Afrikanische Union eine Vision für den afrikanischen Kontinent entworfen. Ihr Motto “The Africa we want” spiegelt das Selbstbewusstsein der afrikanischen Staaten und bekräftigt eine gemeinsame Idee Afrikas. Diese zeichnet einen Weg vor, der Afrika weg vom Empfängerkontinent für Entwicklungshilfe hin zu einem wichtigen Faktor im Rahmen der Weltwirtschaft bringen soll. Die Einrichtung der Afrikanischen Freihandelszone war hierzu eine entscheidende Weichenstellung und soll für mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sorgen. Sie kann als Wendepunkt begriffen werden für mehr Wertschöpfung in Afrika und eine Überwindung der einseitigen Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Gemeinsam mit ihren europäischen Partnern sollte die Bundesregierung alle mögliche Unterstützung anbieten, um die Hürden zu ihrer Implementierung zu überwinden. Deutschland muss sich nicht scheuen, für die Ideen der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft zu werben. Außerdem gilt die deutsche mittelständische Wirtschaft in Afrika weithin als vorbildlich. Afrikanische Staaten werden jedoch ihre eigene Ausprägung einer inklusiven Wirtschaftsordnung finden müssen. Auf keinen Fall darf übersehen werden, dass eine neue Generation von gut ausgebildeten, ehrgeizigen Afrikanerinnen und Afrikanern bereitsteht, die - ohne von außen belehrt werden zu wollen - ihre Länder voranbringen möchte. Das macht Afrika attraktiv.

Um diese Dynamik zu unterstützen sind mehr Investitionen, innovative Kooperationen und mehr Risikobereitschaft nötig. Ziel muss es sein, dass eine Verarbeitungsindustrie vor Ort entsteht, damit durch lokale oder regionale Lieferketten deutlich mehr Wertschöpfung vor Ort verbleibt. Unser Potential liegt in einem innovativen, dynamischen, sozial verantwortlichen und lokal verwurzelten Unternehmertum mit klein- und mittelständischen Betrieben, die hervorragende Bedingungen für die Kooperation mit afrikanischen Unternehmerinnen und Unternehmern mitbringen. Die deutsche Wirtschaft, inklusive der Tatkraft der Diaspora-Unternehmen, sollte mit dazu beitragen, die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika zu unterstützen und die Entwicklung neuer Märkte mit eigener unternehmerischer Kreativität und Umsetzungsenergie voranbringen.

Damit deutsche, zusammen mit afrikanischen Partnern, diese Chancen ergreifen können, sollte die neue Bundesregierung die Dynamik in vielen Ländern Afrikas stärker wahrnehmen und kommende Entwicklungen stärker antizipieren. Dafür muss personell und politisch in Strukturen für einen kontinuierlichen Austausch mit afrikanischen Partnern investiert werden, statt in immer neue Strategiepapiere. Einer der wichtigsten Schritte wäre die Einrichtung eines Sonderbeauftragten für die Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika als zentraler Anlauf- und Informationsstelle für Unternehmen. Diese Stelle könnte im Wirtschaftsministerium angesiedelt sein. Auch bedarf es einer verstärkten Kooperation im Bereich Bildung und Ausbildung. Ein gemeinsames Ausbildungswerk der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung in Entwicklungsländern, mit Schwerpunkt Afrika, wäre nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Wachstums in Afrika, sondern auch eine langfristige Investition für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Weiterhin bedarf es intensiverer Forschungszusammenarbeit, breiterem Technologietransfer sowie Austauschprogrammen auf allen Stufen des Bildungsprozesses. Daraus einen beiderseitigen Gewinn zu ziehen, sollte auf der Hand liegen, gerade mit Blick auf die großen Herausforderungen der Fachkräftegewinnung. Zusätzlich sind eine generelle Erweiterung und Vertiefung deutscher Afrikaexpertise für Politik und Gesellschaft notwendig, und wo sie existiert, muss sie Eingang finden in die politischen Diskussionen, in dem die Kluft zwischen Wissenschaft und Politik geschlossen wird. Dringend erforderlich ist deshalb die Förderung angewandter Afrikaforschung in universitären und außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen, wie etwa dem Wirtschaftswissenschaftlichen Cluster Afrikaforschung oder dem Projekt Megatrends Afrika.

Statt Afrika weiterhin als Kontinent der Probleme zu präsentieren, für die es Lösungen zu ersinnen gilt, sollte Deutschland den möglichen Beitrag afrikanischer Staaten zur Lösung gemeinsamer Probleme erkennen, vom Eindämmen des Klimawandels über den Erhalt der biologischen Vielfalt bis hin zur Erschließung neuer Märkte. Offensichtliche Asymmetrien sollten nicht durch das Beschwören von „gleicher Augenhöhe“ verdeckt, sondern benannt und produktiv genutzt werden. In Deutschland werden Fachkräfte knapp – die afrikanische Jugend braucht Jobs. Hier gibt es große Sparaufkommen und kaum noch Erträge – dort einen immensen realwirtschaftlichen Investitionsbedarf.

Auf die junge Generation als Reformtreiber setzen

Politisch ist Europa, und damit Deutschland, gut beraten, neue Partner zu gewinnen, wenn es die internationale Ordnung im 21. Jahrhundert mit seinen Werten und Interessen mitgestalten will. Ganz zu schweigen von der kulturellen Bereicherung, die eine selbstkritische und offene Begegnung mit Afrika verspricht. Wichtig dabei ist, die Selbst-Überschätzung zu beenden. Afrika wartet nicht auf uns. Es wird seinen Weg gehen – ob mit oder ohne uns. Afrika hat Optionen und ob diese im Interesse Europas oder auch der afrikanischen Bevölkerungen sind, ist offen. Sicher ist, dass die multilaterale Ordnung nur fortbestehen kann, sofern sie sich Reformen unterzieht, die von afrikanischen Staaten seit Langem gefordert werden. Deutschland unterstützt die afrikanischen Bestrebungen nach permanenten Sitzen im VN-Sicherheitsrat und sollte dies auch weiterhin tun. Bei der Reform der internationalen Finanzinstitutionen können Deutschland, bzw. Europa und Afrika ebenfalls viel gemeinsam bewirken und so verloren gegangenes Vertrauen in die gegenseitigen Beziehungen wieder aufbauen.

Selbstverständlich wäre es falsch, angesichts einiger negativer Entwicklungen auf dem Kontinent in aktivistischen Afrika-Optimismus zu verfallen. Leider haben die Militärputsche in Westafrika zu einer Rückkehr von Diktatoren geführt, militärische Auseinandersetzungen wie im Sudan und im Osten der Demokratischen Republik Kongo gefährden Frieden und Sicherheit ganzer Regionen und eine Reihe von alten Machthabern verhindert seit Jahrzehnten Reformen in ihren Ländern und den Zugang junger Menschen zu Strukturen der Selbstermächtigung und produktiven Teilhabe und Mitgestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Trotzdem darf nicht übersehen werden: Demokratie ist auch in afrikanischen Staaten verwurzelt und stößt insbesondere bei jungen Menschen auf viel Zustimmung; diese Gruppe wird früher oder später die politische Führung Afrikas übernehmen. Mit dieser jungen Generation sollten wir die Regeln für globale Kooperation im 21.Jahrhundert gemeinsam aushandeln und weiterentwickeln.

Afrika ist nah – und Europa doch so fern, das muss sich ändern. Durch die Verweigerung des Zugangs für Afrikanerinnen und Afrikaner durch eine restriktive Visa-Politik und fehlende Neugier unsererseits auf die Veränderungen bei unserem südlichen Nachbarn vergibt Deutschland große Chancen. Auch das Zurückfahren von Stipendien für afrikanische Studentinnen und Studenten ist ein Fehler, der korrigiert werden muss. Fundament einer ehrlichen Beziehung ist die Aufarbeitung der Vergangenheit. Es gilt, Zugang und Begegnung zu schaffen, das kulturelle Erbe Afrikas zu entdecken und seine Künstler, Intellektuelle, Parlamentarier und zivilgesellschaftlichen Akteure wahr- und ernst zu nehmen. Das könnte der am meisten unterschätzte Schlüssel zu einer langfristigen und auf echter Gegenseitigkeit beruhenden Partnerschaft mit Afrika sein.

Dr. Uschi Eid war Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (1998-2005) und persönliche Afrikabeauftragte von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die Grünen/Bündnis 90 vertrat sie über 20 Jahre im Bundestag. Beruflich verbrachte sie drei Jahre in Eritrea. Seit 2015 leitet sie die Deutsche Afrika Stiftung. Foto ©Heidi Scherm/DAS