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Wirtschaftsdiplomatie: Österreich sieht Alarmzeichen in Deutschlands Entwicklung

Wirtschaftsdelegierter Michael Scherz fragt sich, was mit den Deutschen los ist
Autor:
Ewald König
/
August 20, 2024
August 18, 2024

Aufschwung Ost – das ist lange her. Inzwischen sorgen sich die Nachbarländer um den Abschwung (Foto: Archiv)

Michael Scherz, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Deutschland, hofft im Handel mit Deutschland auf eine Belebung in der zweiten Jahreshälfte. Denn die derzeitige Entwicklung der deutschen Wirtschaft werde für Österreich zunehmend zur Herausforderung.

„Wir merken das schon", resümiert der Wirtschaftsdiplomat Scherz im Gespräch mit diplo.news die Entwicklung in Deutschland. „Wenn man sich die langfristige Entwicklung ansieht, sind der Produktionssektor bei energieintensiven Erzeugnissen sowie auch die Auslandsinvestitionen seit 2017 rückläufig. Das sind Alarmzeichen, die langfristig nicht für den Standort sprechen und die auch für uns zunehmend zur Herausforderung werden."

Immer mehr unter Druck

Viele Unternehmer investierten nicht mehr im eigenen Land bzw. verlegten Produktion ins Ausland. Auch der Trend, jedes Problem mit Geld ausgleichen zu wollen, bringe der deutschen Wirtschaft nicht die notwendigen Befreiungsschritte. Auch die Nachbarn und Haupthandelspartner Deutschlands gerieten durch eine solche Politik auch immer mehr unter Druck.

Deutschland sei in jeder Beziehung mit Abstand Österreichs wichtigster Partner. Das gelte nach wie vor und werde auch auf Jahre bleiben. „Aber wenn sich hier die Wirtschaftsleistung nicht mehr so dynamisch entwickelt wie früher, werden wir das zu spüren bekommen."

Hausgemachte Probleme

Die Gründe seien zum Teil hausgemacht. Bundeskanzler Gerhard Schröder habe vor zwanzig Jahren mit „Hartz vier" noch große Reformen durchgesetzt, die ihn letztlich den Job gekostet hatten. „Aber ich sehe hier heute niemanden, der bereit wäre, so grundlegende Strukturreformen anzugehen." Daher werde der Berg an Problemen immer größer: Teils chaotische Energiepolitik, ausufernde Bürokratie aus Berlin und Brüssel, Arbeitskräftemangel, Defizite bei der Digitalisierung, hoher Investitionsbedarf bei Infrastruktur etc. Deutschland braucht 600 Milliarden Euro für die Infrastruktur in den nächsten zehn Jahren. „Irgendwann wird sich Deutschland zu echten Reformen durchringen müssen."

Hausgemacht seien die Probleme auch, weil die derzeitige Bundesregierung – sie besteht aus SPD, Grünen und FDP – Geld vor allem für den ideologiegetriebenen Umbau auf nachhaltige Energien und für Soziales ausgeben wolle. Die FDP sei zu schwach, um dagegenzuhalten. Dauerstreitpunkt ist auch die Aufweichung der Schuldenbremse.

Berichtspflichten aus Brüssel

Ein weiterer Faktor sei die EU. Aus Brüssel komme eine Berichtspflicht nach der anderen, was die Unternehmen belaste.

Schließlich seien die internationalen Konflikte mit Schuld. Dazu kommen Lieferkettenprobleme, Energieprobleme und andere Faktoren. „Das alles hat geballt dazu geführt, dass es hier nicht rund läuft."

Schließlich hätten auch die Russland-Sanktionen großen Schaden angerichtet. Der große wirtschaftliche Profiteur davon seien die USA. „Das hätte man sich vielleicht besser überlegen müssen.

Standort im Teufelskreis

Große Mittelständler würden ihre Investitionen verlagern, etwa nach China, was wiederum die Abhängigkeit erhöhe, auch nach Polen „und absurderweise auch in die Schweiz". Die höheren europäischen Zölle auf chinesische Elektroautos würden die Chinesen nicht auf sich sitzen lassen und gegen die Verbrenner vorgehen, was vor allem die Deutschen treffen werde. „Ein Teufelskreis. Man müsste sich hier durchringen, den Standort attraktiver zu machen."

Investieren solle man, weil die Bedingungen gut seien, „aber nicht weil die Bundesregierung Milliarden hinterherwirft, damit man hier investiert. Das ist ja keine Auszeichnung, einem Investor zig Milliarden zahlen zu müssen, damit er hier bleibt." Das sei nicht nachhaltig. Die Frage sei, ob das Geld nicht besser eingesetzt wäre, indem man Steuererleichterungen gewährt und die Bürokratie abbaut.

Absurde Vorschriften

Viele absurde Vorschriften kosteten Geld und brächten nichts. Beispielsweise müssten selbst Betriebe, die nur Männer beschäftigen, Vorkehrungen für Schwangere treffen.

Eine weitere Belastung für die Wirtschaft bringe das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es werde nicht zur besseren Menschenrechtslage in Afrika führen, sondern europäische Firmen aus dem Geschäft ausschließen. „Die Idee hinter vielen Gesetzen ist sehr gut", räumt Scherz ein. Hinter den vielen Berichtspflichten stecken gute Absichten. „Es sind ja alle dafür, dass Menschenrechte und Umweltschutz eingehalten werden. Aber dass alles nur zu Lasten der Wirtschaft geht, das kann nicht klappen." Da werde die neue EU-Kommission etwas ändern müssen.

Langfristig gute Aussichten

Österreich habe für die deutsche Wirtschaft grundsätzlich ein gutes Angebot. Da viel Geld in Schienen- und Straßenbau fließe und auch Wohnungen gebraucht würden, profitiere Österreich. Scherz erwartet, „dass es spätestens nächstes oder übernächstes Jahr wieder anziehen wird. Langfristig sind das ganz gute Aussichten."

Österreichs Dienstleistungsexporte seien „super gelaufen". Dazu gehörten Bank- und Finanzdienstleistungen, Agenturleistungen, Versicherungsdienstleistungen – „da sind wir erstaunlich stark" –, Transporte, aber auch Tourismus.

Im abgelaufenen Jahr haben sich die Warenexporte Österreichs noch ganz gut gehalten; die Importe aus Deutschland verringerten sich um 6 Prozent. „Das vorige Jahr war mit 59 Milliarden Euro Export nach Deutschland noch relativ okay gegenüber 58 Milliarden Import. Aber wir tragen das Defizit immer noch mit."

Dr. Michael Scherz, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Deutschland (Foto: WKÖ)

Ideologiegetrieben statt pragmatisch

Deutschlands großes Thema bleibe die Transformation. Man frage sich, warum Deutschland das Thema nicht etwas pragmatischer angehen könne und weniger ideologie- und verbotsgetrieben, wie das jetzt der Fall sei. „Unser größter Wunsch wäre, dass Deutschland einen pragmatischeren Zugang findet, nämlich Entbürokratisierung und Steuersenkung. Dann stünde der Standort wieder ganz gut da."

Defizite bei Digitalisierung

Die mangelnde Digitalisierung im öffentlichen Bereich Deutschlands sei ebenfalls ein großes Problem. Österreich, das bei Digitalisierung wesentlich weiter sei als Deutschland, biete hier Lösungen an. „Wir versuchen, die deutschen Schwächen mit österreichischen Stärken zu kompensieren."

Obwohl es viele negative Punkte in Deutschland gebe, habe Deutschland doch so viel wirtschaftliche Power, sodass es die Erholung wieder schaffen werde, ist Scherz überzeugt. „Aber es muss wieder mehr Markt zum Tragen kommen und weniger Staat. Wenn wir auf diesem Weg bleiben, wird letztlich ganz Europa absacken." Spätestens die nächste deutsche Bundesregierung werde dringend etwas für den Standort machen müssen.

Das Interview mit dem Wirtschaftsdiplomaten Dr. Michael Scherz, Repräsentant der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) in Deutschland, führte Ewald König für diplo.news und die Austria Presse Agentur in der Österreichischen Botschaft.

Author:
Ewald König
/
Aug 18, 2024 14:52