Von Ewald König
Südkoreas Verfassungsrichter entschieden sich einstimmig (acht zu null) für die Absetzung von Präsident Yoon Suk Yeol, der im vergangenen Dezember mit der Verhängung des Kriegsrechts das Land in eine tiefe Krise gestürzt hatte.
Das Verfassungsgericht in Seoul verkündete Freitag 11 Uhr Ortszeit (4 Uhr deutscher Zeit) sein mit Hochspannung erwartetes Urteil zur Absetzung des suspendierten rechtsnationalen Staatsoberhaupts. Nach der Verfassung muss in Korea die Neuwahl nun binnen 60 Tagen stattfinden.
Bei der Begründung ging der Vorsitzende auf alle Behauptungen des Präsidenten Yoon Suk Yeol ein und widerlegte sie. Mit seiner Entscheidung bestätigte das höchste Gericht die Entscheidung des südkoreanischen Parlaments, das die Amtsenthebung gefordert hatte.
„Ein Regime siegt nie gegen die Bevölkerung“, sagte der Oppositionspolitiker Jung Chung-rae, Vorsitzender des Rechtsausschusses des Parlaments, nach dem Urteilsspruch sichtlich bewegt. Auch andere Spitzenvertreter der Oppositionspartei äußerten sich erleichtert. Der Feind der Demokratie sei von der Demokratie besiegt worden. Man könne auch als Präsident das demokratische System nicht zu Fall bringen. Ein Präsident sei kein König.
Der Urteilsspruch erfolgte genau 122 Tage nach Ausrufung des Notstands im vorigen Dezember, der freilich nach wenigen Stunden vom Parlament annulliert wurde. Das Urteil hätte bereits im März verkündet werden sollen. Die Anhörungen und Beratungen zogen sich über Wochen hin. Das deutete zunächst auf Uneinigkeit unter den acht Richtern hin. Mit großer Erleichterung wurde daher die einstimmige Entscheidung der Verfassungsrichter aufgenommen.
Yoon selbst ließ zunächst über seinen Rechtsanwalt erklären, das sei "eine politische Entscheidung, die rechtlich inakzeptabel ist". Das Verfahren gegen ihn sei nicht ordnungsgemäß, sondern unfair durchgeführt worden. Doch etwas später meldete er sich persönlich mit einer "Entschuldigung bei der Bevölkerung". Es tue ihm aufrichtig leid "und bricht mir das Herz, dass ich nicht in der Lage war, Ihre Erwartungen zu erfüllen"..Der Fraktionsvorsitzende der Präsidentenpartei, Kweon Song-dong, bedauerte das Urteil, kündigte jedoch an, seine Partei werde es mit Demut annehmen.
Verbündete vor den Kopf gestoßen
Yoon hatte wegen eines Haushaltsstreits mit der Opposition vorübergehend das Kriegsrecht verhängt und die liberale Opposition der Kollaboration mit dem kommunistischen Nordkorea und mit China bezichtigt. Er stürzte das Land in eine nie dagewesene politische und moralische Krise. Über Monate hinweg protestierten an jedem Wochenende Hunderttausende Demonstranten in vielen koreanischen Städten gegen Yoon, aber auch für ihn, was das Land tief spaltete. Der Präsident hatte dem Land enormen Imageschaden zugefügt und die Verbündeten vor den Kopf gestoßen.
Der amtierende Premierminister, Han Duck-soo, gleichzeitig interimistisches Staatsoberhaupt, betonte, er werde alles für die Stabilität des Landes tun, damit es keine Lücke in der nationalen Sicherheit und Diplomatie gebe. "Ich werde mein Bestes tun, um die nächste Präsidentschaftswahl so zu leiten, dass die nächste Regierung reibungslos ins Amt eingeführt werden kann."
Urteilsbegründung: "Grundrechte grob verletzt"
In der Urteilsbegründung hatte Moon Hyung-bae, der Präsident des Verfassungsgerichts, ausgeführt:
"Der Beklagte hat die nationale Souveränität und die Demokratie verleugnet,
• indem er in die Ausübung der verfassungsmäßigen Befugnisse der Nationalversammlung eingegriffen hat,
• indem er das Militär eingesetzt hat, um das Parlament an der Ausübung seiner verfassungsmäßigen Befugnisse zu hindern,
• indem er die in der Verfassung festgelegte Regierungsstruktur missachtet hat,
• indem er das Militär eingesetzt hat, um die Nationale Wahlkommission zu beschlagnahmen und zu durchsuchen,
• indem er die Grundrechte des Volkes grob verletzt hat."
"Stabilität beschädigt, das Volk schockiert"
Diese Handlungen hätten die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des demokratischen Staates verletzt und die Stabilität der demokratischen Republik ernsthaft beschädigt.
"Der Beklagte hätte auch das Parlament als Vertreterin des Volkes für die Zusammenarbeit respektieren müssen. Der Beklagte hat es jedoch ausgegrenzt, was gegen die Prämisse demokratischer Politik verstößt und die Stabilität der Demokratie schwerwiegend beschädigt.
Selbst wenn der Beklagte der Meinung war, dass die Ausübung der parlamentarischen Befugnisse einen Missbrauch der Mehrheit darstelle, hätte er dafür sorgen müssen, dass durch die in der Verfassung vorgesehenen Rechtsbehelfe eine Kontrolle und ein Gleichgewicht hergestellt wird. Der Beklagte hatte die Möglichkeit, das Volk bei den Parlamentswahlen, die etwa zwei Jahre nach dem Amtsantritt des Beklagten stattfanden, davon zu überzeugen, ihm die Führung des Landes zu überlassen. Selbst wenn die Ergebnisse nicht den Absichten des Beklagten entsprachen, hätte der Beklagte nicht versuchen dürfen, den Willen des Volkes, das die Opposition unterstützte, auszuschließen. Dennoch hat der Beklagte mit der Ausrufung des Kriegsrechts unter Verletzung der Verfassung die frühere Geschichte des Missbrauchs staatlicher Notstandsbefugnisse wiederholt, das Volk schockiert und Chaos in allen Bereichen der Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Außenpolitik verursacht."
Weiters führte der Verfassungsgerichtspräsident aus: "Indem der Beklagte das Militär einsetzte, um die Autorität verfassungsmäßiger Institutionen wie des Parlaments zu untergraben und die grundlegenden Menschenrechte des Volkes zu verletzen, verletzte er seine Verantwortung, die Verfassung zu verteidigen, und missbrauchte das Vertrauen des souveränen koreanischen Volkes auf schwerste Weise. Das stellt schwere Rechtsverletzungen dar, die unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Verfassung nicht toleriert werden können."
Da die negativen Auswirkungen der Rechtsverstöße des Beklagten auf die verfassungsmäßige Ordnung so erheblich seien, müssten der Nutzen und der Schaden abgewogen werden. Die Absetzung des Präsidenten bedeute einen so großen Nutzen für den Schutz der Verfassung, dass er den möglichen Schaden der Absetzung weit überwiege.