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Der Faktor Dramaturgie

Was bei der Planung des Nationalfeiertagsempfangs in Berlin zu beachten ist
Karikatur: diplo.news / Slava Nikolaev
  • Ablauf

Wie läuft in Berlin üblicherweise ein Nationalfeiertagsempfang ab? Welche Dramaturgie ist empfehlenswert? Hier finden Sie ein paar nützliche Hinweise. Generell gilt: Berlin ist relativ unkompliziert und locker. Es stimmt, was einst ein Luxemburger Diplomat auf seinem Abschiedsempfang sagte: „In Berlin kann man Sachen machen, die man anderswo nie machen könnte!“

  • Stehempfang

In Berlin hat sich an Nationalfeiertagen der Stehempfang eingebürgert. Niemand erwartet für diesen Anlass einen gesetzten Empfang.  

  • Showeinlagen

Viele Botschaften zeigen gerne, was ihr Land zu bieten hat, abgesehen vom Buffet: Tourismus-Promotion, Fashion Show, Konzerteinlagen und Ähnliches. Das erwartet aber niemand. Man muss der ITB, der Internationalen Tourismusbörse, nicht Konkurrenz machen, und man muss keine Modeschau vorführen. Man kann, aber es darf nicht dazu führen, dass der Empfang länger als zwei Stunden dauert.  

  • Sprache

Dass die Ansprachen und Reden nicht zu lang sein dürfen, versteht sich von selbst. Empfehlenswert sind maximal zehn Minuten. Alles andere ist eine Qual. Eine Qual kann auch die Sprache sein. Manche Gastgeber sprechen ein so fürchterliches Englisch, dass sie kaum verstanden werden. Deutsch können nicht viele Botschafter, und selbst wenn, ist dies für viele internationale Gäste ein Problem. Der Botschafter kann in seiner Heimatsprache reden und einen Übersetzer -----. Nachteil: Das kostet viel Zeit. Besser wären eine Übersetzung oder Untertitel auf einer Leinwand. Am besten ist es, wenn alle Reden auf Englisch gehalten werden. sofern die Redner eine gut verständliche Aussprache haben. In dem Fall kann man auf Übersetzung ins Deutsche verzichten.

  • Rededauer

Wie im Kapitel „Der Faktor Timing“ angeführt, ist die Rede des Botschafters nicht unbedingt die Hauptsache des Empfangs. Hauptsache ist die Kommunikation unter den Gästen! Je kürzer die Rede ist, desto mehr wird sie genossen. Und ein pragmatisches Argument für eine kürzere Rede: Wenn mit dem Hotel eine Getränkepauschale vereinbart worden ist, kann diese besser genutzt werden. Denn je länger der Gastgeber redet, desto weniger wird getrunken. Das ist zwar gut fürs Hotel, aber nicht im Sinne des Gastgebers und der Gäste.  

  • Stehtische

Typischerweise wird auf Empfängen auf Stehtischen gegessen. Sitzplätze sind sehr selten. Freihändiges Essen, also ohne Stehtisch, erfordert artistische Fähigkeiten. Längeres Stehen am Stehtisch fällt den Gästen nicht auf, wenn sie dabei zu essen und trinken haben. Längeres Stehen fällt dagegen sehr auf, wenn man vom Stehtisch aus nur zuhören oder zuschauen kann. Wenn die Ansprachen eine halbe Stunde dauern, gefolgt von dreiviertelstündigen Tanzdarbietungen, bleibt nur eine Dreiviertelstunde Zeit fürs Büffet. Das ist definitiv zu wenig. Da ist es wortwörtlich zu verstehen, wie die Gäste im Mittelpunkt STEHEN. Und stehen. Und stehen …  

  • Geräuschpegel

Die Rede des Botschafters muss akustisch einwandfrei zu hören sein. Das Mikrofon muss nahe am Mund eingestellt sein. Die Lautsprecher dürfen nicht quietschen. Gibt es da Probleme, verstehen die Gäste nichts und beginnen zu plaudern.  

  • Dilemma

Das schmerzt in den Ohren und im Herzen. Vorne spielen Künstler, in der Regel die besten, die das Land des Gastgebers aufzubieten hat; rundherum lauschen angestrengt andächtig ein paar Gäste. Doch weiter hinten unterhalten sich die meisten Gäste fröhlich und ungeniert. Der gute Ton würde es gebieten, sich ein paar Minuten mit den Gesprächen zurückzuhalten. Doch hinten hat der gute Ton keine Chance. Ein Dilemma.

  • Disziplin

Es gibt immer wieder Versuche, auf diplomatische Art und Weise Disziplin in die Gästeschar zu bringen. Da ist die Idee mit den weiß verhüllten Pantomimen, die sich mit dem Finger auf den Lippen durch das Stehpublikum schleichen und Ruhe anmahnen. Charmant, aber nicht effektiv. Ebenfalls nicht effektiv und schon gar nicht charmant ist die Idee mit wandelnden „Bitte Ruhe!“-Schildern. Peinlich ist es übrigens, wenn jemand eine Welle von Psst!-Gezischel durchs Publikum schickt, kurz darauf aber selbst beim Tratschen erwischt wird.

  • Kompromissversuche

Eine Botschaft teilte den Empfang in zwei Teile. Die Gäste wurden in die aufgestellten Stuhlreihen gebeten. Dort saßen sie aufgefädelt wie im Konzertsaal. Es blieb ihnen nichts anders übrig, als konzentriert nach vorne zu schauen, die Musik zu genießen, still zu bleiben und schließlich heftig zu applaudieren. Der Applaus war nur möglich, weil sie kein Sektglas in der Hand halten mussten. Denn Applaus mit Sektflöte ist schwierig. Erst danach durften sie sich erheben und nebenan der Kulinarik und der Kommunikation widmen. Das brachte zwar die gewünschte Disziplin, doch hat auch dieses System Nachteile. Man braucht eine sehr große Veranstaltungsfläche. Da kommt viel Raummiete zusammen.

Der Kompromiss - auch das habe ich schon erlebt - wäre eine technische Pause: Ein Heer von Mitarbeitern (kostenintensiv!) entfernt die Stühle, um rasch Platz für den Stehempfang zu schaffen. Währenddessen müssen die Gäste aber an den Rand gedrängt abwarten, bis die Fläche frei und das Buffet eröffnet ist. Auch dieser Situation fehlen irgendwie Charme und Eleganz. Und noch ein Nachteil: Während des Konzerts wabern von hinten appetitanregende Buffetgerüche durch den improvisierten Konzertsaal. Das lenkt vom Musikgenuss dann doch etwas ab, selbst wenn die Künstler ganz große Stars sind.

  • Nervenprobe

Die Geräuschkulisse ist für die einladende Botschaft oft eine Brüskierung, bedeuten doch Künstlerauftritte mit Anreise, Hotel und Proben großen Kosten- und Zeitaufwand. Für die Vorzeigekünstler des jeweiligen Landes ist es eine Nervenprobe an der Grenze zur Beleidigung. Sie sind ja nicht gewohnt, nur Hintergrundmusik für die Konversationen der Gäste zu erzeugen. Das mitzuerleben, ist oft wirklich peinlich.