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Mythos immerwährender Freundschaft

von Gudrun Dometeit
Donald Trump droht mal wieder, und die Welt erschrickt. Wo bleibt Europas neue transatlantische Strategie?

Die größte Insel, den flächenmäßig größten Staat, eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt – kleinliches Denken kann man Donald Trump nicht vorwerfen. Alles will er einheimsen, Grönland, Kanada und den Panamakanal, notfalls mit militärischen Mitteln. Jedenfalls hat er das gerade öffentlich nicht ausgeschlossen. „The world is mine“, scheint sich der künftige 47. Präsident der Vereinigten Staaten zu denken. Mal eben shoppen gehen, so wie früher einen Wolkenkratzer, ein Hotel, einen Golfclub kaufen. Und zur Not den Preis mit ein wenig Erpressung drücken.

 

Man kann das alles lächerlich finden, als typische Trump-Show, als Getöse, als Ausdruck von Größenwahn. Oder, wie die hiesigen Kritiker des designierten US-Präsidenten, in solchen Ankündigungen die schlimmsten Befürchtungen bestätigt sehen. Vermutlich liegt die Wahrheit dazwischen. Trump geht es nicht nur um höhere Zölle für Europa, Kanada, Mexiko und China oder höhere Verteidigungsausgaben der Europäer. Die jüngsten Äußerungen zeigen geradezu exemplarisch, dass der Kurs seiner gesamten Außenpolitik durchwegs merkantiler wird, wie die ehemalige deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, kürzlich prophezeite.

 

Auf Grönland – Teil Dänemarks – hatte der Republikaner schon in seiner ersten Amtszeit begehrliche Blicke geworfen. Mit dem Schmelzen des arktischen Eises werden nicht nur wertvolle Rohstoffe sondern auch neue Schiffahrtswege frei. Bei Panama beschwerte er sich über zu hohe Kanalgebühren. Mehr Kontrolle über den Kanal würde so ganz nebenbei auch die Kontrolle über chinesische Importe in die USA ermöglichen. China ist neben den USA der größte Nutzer dieses Transportwegs. Übrigens: Den Kanal übergaben die USA 1999 an Panama als „unveräußerliches Eigentum“.

 

Aber statt sich nun an der Person Trump abzuarbeiten oder wie das Kaninchen auf die Schlange auf weitere Forderungen zu warten, muss Europa endlich eine eigene, eine neue transatlantische Strategie entwickeln. Eine, die Trump überdauert. Eine, die sich von den Mythen immerwährender Freundschaft verabschiedet und anerkennt, dass es auch in Bezug auf die USA immer weniger um Werte sondern vielmehr um Interessen geht. Gerade in Deutschland ist allerdings mitunter schon die Frage nach Interessen verpönt, weil das irgendwie selbstsüchtig oder nationalistisch klingt. Und eine gemeinsame Haltung in Europa fällt umso schwerer als die Haltung der Osteuropäer, von Polen oder den baltischen Staaten, gegenüber den USA nachgiebiger als der Rest der EU sein wird – schon um des militärischen Schutzes vor Russland willen. Eine absolute Russland-Hardlinerin, die Estin Kaja Kallas, als EU-Außenbeauftragte macht die Sache nicht einfacher.

 

Klar, ein deutsch-französisch-polnisches Trio will gleich nach der Wahl Trumps am 20. Januar nach Washington reisen. Und Emmanuel Macron lädt im Februar zum gemeinsamen Beratschlagen ein. Aber wie lange hatten die Europäer eigentlich Zeit, sich mental auf eine zweite Amtszeit Trumps einzustellen? Genau, vier Jahre. Und hat Joe Biden die America First-Politik fortgeführt? Richtig, nur netter verpackt. Und sind sich Demokraten und Republikaner seit langem einig, dass der Wettbewerb mit China absolute Priorität hat und sich ihm die Europäer im Zweifel unterordnen müssen? Auch das ist korrekt.  

 

Vertane Zeit also, um rechtzeitig Antworten zu finden. Stattdessen ersetzte Europa russische Gaslieferungen inzwischen in weiten Teilen durch amerikanisches Flüssiggas. Die USA liefern die Hälfte des LNG, von dem besonders Deutschland profitiert – kein guter Ausgangspunkt für künftige Verhandlungen mit einem US-Präsidenten, der unter Außenpolitik Dealen mit allen Mitteln versteht.  

 

Gudrun Dometeit war Moskau-Korrespondentin sowie landespolitische Korrespondentin im Hamburger Büro der Deutschen Presse-Agentur. Beim Magazin Focus leitete sie das Ressort  Ausland bis 2024, zeitweise auch die Ressorts Politik und Wirtschaft. Seit Ende 2024 ist die Politikwissenschaftlerin und Slawistin Chefredakteurin von diplo.news.