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Musiktradition, die zu Sowjetzeiten verpönt war

Musik als Identitätsstifterin und politischer Wille / Ein Besuch in Usbekistan beim „Maqom Art International Forum“
Autor:
Irmgard Berner
/
November 22, 2024
July 8, 2024
Junge Künstlerinnen, alte Kunst: Zentralasien schöpft aus reichem Erbe (Fotos: Madaniyat.uz)

Schon zum Empfang am Bahnhof Zamin in der Provinz Jizzax gab es Musik. Mit Trommeln und Fanfaren begrüßten usbekische Musiker und Musikerinnen in traditionellen Kostümen aus buntem Ikat die vielen eben eingetroffenen internationalen Gäste. Daneben schwang eine große Schar junger Menschen fröhlich die jeweiligen Länderfahnen. Der warmherzige Empfang galt den Delegationen, die sich Ende Juni für vier Tage beim „Maqom Art International Forum“ zum Austausch über die Entwicklung der traditionellen Musikform Maqom und zum musikalischen Wettbewerb einfanden. 

Der Austragungsort, am Fuße der Berge des Zamin National Parks gelegen, ist ein beliebtes Erholungsgebiet zwischen Taschkent und Samarkand und wird auch „usbekische Schweiz“ genannt. Nicht nur deshalb wurde er für das unter der Schirmherrschaft von UNESCO und ICESCO stehenden Festivals ausgewählt. Vielmehr ist Zamin auch der Geburtsort des amtierenden Präsidenten Shavkat Mirziyoyev, der damit ein Zeichen setzte, welch hohen Stellenwert die traditionelle Kultur und vorneweg die Musik in seiner Auffassung von Staatsführung hat.

Wie wichtig ihm das sei, betonte er auch bei seiner Eröffnungsrede. Der „Maqom“ und die usbekische Form des „Schaschmaqom“ seien sowohl immaterielles Kulturerbe der Menschheit als auch Identität für die Menschen im Land. Praktisch umgesetzt hat Mirziyoyev diese authentische Volksnähe zur Musik in der Besetzung des Ministers für Kultur. Er ernannte den bekannten Sänger und Rektor des Instituts für usbekische nationale Musikkunst, Ozodbek Nazarbekov, für die Position. 

Nazarbekov trat denn auch an der Eröffnungsfeier mit dem populären Lied „Jigui-jigui“ auf. Das machte Stimmung, das Publikum schunkelte mit. Weiters spielten Orchester auf, Tanzensembles und Volkstanzgruppen begeisterten mit traditionellen „Lazgi“-Tänzen. An der Gala nahmen zudem die Präsidentin der UNESCO-Generalkonferenz, Simona-Mirela Miculescu, und der Leiter der Abteilung für Partnerschaften und internationale Zusammenarbeit ICESCO, Anar Karimov, teil, ebenso Sultan Raev, Generalsekretär von TURKSOY, der Internationalen Organisation für türkische Kultur, und andere.

Vier Tage lang studierte man also praktisch und theoretisch mit hochkarätigen Musikern und Wissenschaftlern diese orientalische Musiktradition, die sich vom Land der Uiguren in China über Zentralasien mit Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan über Persien, Aserbaidschan, der Türkei, den Nahen Osten bis zu den arabischen Ländern Nordafrikas, dem Magreb, erstreckt. Schnell bekam man einen Eindruck davon, wie stark identitätsstiftend diese Musik für die Menschen wirklich ist. Ein musikalisches Erbe, das in diesen muslimischen Ländern weit zurückreicht und sich zu einer komplexen Musikform entwickelt hat. 

Je nach Land wird „Maqom“ auch Maqam, Magham, Mugham, Taksim oder Nuba (Magreb) genannt. Melodien und Modulationen werden in eigenen, im Vergleich zum klassisch europäischen Tonsystem kompliziert anmutenden Strukturen aus Halb- und Dreiviertelton-Intervallen auf Saiteninstrumenten wie dem Tambur, der Oud, Dutar und Rubab (Langhalslauten) gespielt. Dazu wird Lyrik aus der islamischen Mystik in Gesängen und unterschiedlichen Stilen vorgetragen. Mit viel Freiheit für die Interpretierenden und deren Kunstfertigkeit. 

In der usbekischen und tadschikischen klassischen Musik differenzierte sich zudem die Musikform des Shashmaqom heraus, was soviel wie die „sechs Maqomat“ bedeutet. Aus sehr alten Melodien, die nur mündlich überliefert wurden, bildeten sich der Buchara Shashmaqom, Khorezm Maqom oder Fergana-Taschkent Maqom. Manche sagen, dass Maqom bereits zu Zeiten von Zarathustra existierte, also in vorislamischer Zeit. Unter dem  Sowjetregime war Maqom verpönt. Erst nach 1990, mit der Unabhängigkeit Usbekistans, begann man, sich wieder mit der alten Musik zu beschäftigen und Notationen anzufertigen.  

Erläutert wurden die Perspektiven für die Entwicklung der Maqom-Kunst an zwei Tagen in der Konferenz. Es referierten Musiktheoretiker und -ethnologen aus dem In- und Ausland wie etwa Saibjon Begmatov, Direktor des Uzbek National Maqom Art Center in Taschkent, Rachel Harris aus London, Spezialistin für die Musik der Uiguren, oder Jean During, Professor am Forschungszentrum Paris-Nanterre, der zur Musik der Baschtunen forscht. 

Abends fanden dann auf der Freiluftbühne die Wettbewerbskonzerte statt. Vor einer internationalen Jury aus den USA, Aserbaidschan, Ägypten, der Türkei, Usbekistan und Indien sowie Publikum aus der Region traten die Musikbands mit ihren hervorragenden Solisten an. Geldpreise von 500 bis 10.000 Dollar für Performance, Komposition, solistische Leistung und Ensemble-Arbeit waren in drei Kategorien ausgelobt: bestes Maqom-Ensemble, bestes Instrumentalsolo und bestes Gesangsolo. 

Den mit 15.000 Dollar dotierten „Grandprix“ gewann das iranische Ensemble „Fors“ Ali Asghar Arabshahi. Ihr großartiger Vortrag, der Gesang und die Instrumentalperformance machten die Tiefe, die dieser Musik innewohnt, spürbar. Die Gewinner wurden in der Abschlussveranstaltung am 30. Juni gekürt. 

So ging das II. Internationale Forum der Maqom-Kunst mit begeistertem Publikum zu Ende. Das erste Forum dieser Art liegt übrigens sechs Jahre zurück. Im September 2018 fand es im historischen Stadtzentrum von Schahrisabz statt, einem architektonischen Juwel im Süden des Landes.

Usbekistan feiert seine Kultur zurecht, denn sie sucht ihresgleichen. Zur hohen Konzentration an historischen Baudenkmälern und archäologischen Schätzen, an alten Schriften des Islam und der Naturwissenschaften, an Kunsthandwerk in Keramik, Seide oder Metall gehört auch das immaterielle Kulturerbe: die Musik. Dass diese mit politischem Willen hoch gehalten und im Bildungssektor flächendeckend gefördert und weiterentwickelt wird, ist geradezu vorbildhaft – für ihren lebendigen Erhalt innerhalb Usbekistans und weit darüber hinaus. 

Irmgard Berner ist Kulturjournalistin in Berlin und berichtete für diplo.news aus Usbekistan 

Usbekistan fördert die Wiederbelebung der historischen Musik und das Interesse des internationalen Publikums
Experten, Journalisten und Jurymitglieder kamen aus der ganzen Welt. Im Foto ganz links: die diplo.news-Autorin Irmgard Berner